»unberuhigte vernunft«
Dem Regisseur Christoph Schroth zum heutigen 75. Geburtstag
»In der Kunst genießen die Menschen das Leben.« Das bedeutete eine klare Ansage: dass die Gesellschaft nicht zu genießen und - genau genommen - kein Leben war. Solches Motto hatte sich das Staatstheater Schwerin gegeben, und fast 15 Intendanz- und Regiejahre hat Christoph Schroth auf eine Weise Theater gemacht, die zum Fußball aufschloss: das Publikum kam in Sonderzügen. Zum »Faust« etwa: eine vielfarbige Wollust, die kein einziges Gefühl der Erdenexistenz verheimlichte. Theater, das den Zeitungsausrufezeichen Hausverbot erteilte. 1989 dann der »Tell«, über den Heiner Müller schrieb: »Tumult unter Zuschauern - das war im Oktober das Freiheitsdrama.« Schroths Theater: Volkstheater. Ohne Ruch des Herabkömmlichen. Ohne Dünkel des Proletarischen, das nur Herkünfte benennt, keinen Geist. Volkes Theater. Theater als »eine instanz der unberuhigten vernunft« (Volker Braun).
1937 in Dresden geboren, hatte Schroth Journalistik studiert; er entrann dem Beruf. Wurde Assistent am Gorki-Theater, ging 1966 nach Halle, wo die Inszenierung »Zeitgenossen« (von Stolper/ Gabrilowitsch/ Raisman) entstand, mit Kurt Böwe, Martin Trettau. Ein Bühnen-Bestseller ganz aus Glut für die sozialistische Arbeitsethik. Halle damals: das in der DDR weltberühmte Zeitgenossen-Theater. Uschi Werner, Gerd Grasse, Wolfgang Winkler. Sie trugen gern Lederjacke, der stämmige Böwe, der geistig so spielerische, so klug lenkende Schönemann, der literarische Dramaturg Stolper, der drängend-kämpferische Schroth. Sie gehörten zusammen, und doch auch nicht. Denn jene, wenn man so sagen darf, Geburtsurkunde des neuen Theaters in der mitteldeutschen Industriestadt wurde in Schroths Augen rasch zerrissen: Vereinbart war, Dialektik ernst zu nehmen, das Bild der Widersprüche offen hinzuknallen, das Unvereinbare als Zusammengehöriges zu zeigen: Kants »Aula« und Müllers »Bau«. Den Kant inszenierte Schönemann, aber Schroths Projekt wurde abgelehnt. »Ich erinnere mich an heftige Auseinandersetzungen und das erdrückende Gefühl, eine Schlacht verloren zu haben. Meine Inszenierung der ›Landshuter Erzählungen‹ von Sperr wurde abgesetzt, Lorcas ›Yerma‹ bereits während der Proben beargwöhnt, abgewürgt.«
Nach fünf Jahren verlässt Schroth Halle, bedient von Gegenwartsdramatik, »die stets mit dem korrekten, leicht hingeworfenen Wort« liebedienerisch zur Stelle war, und »mit der es einem leicht gemacht wurde, Verlogenheit zu bejahen, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben«. Er hatte nichts gegen bewusstseinstolle, revuebunte Inszenierungen, aber er wollte die tiefdunkle Schicht in der Menschenseele ernst genommen wissen.
Halle, Schwerin, Volksbühne Berlin. Und eines Tages, in der sehr späten Zeit der DDR, knatterten unerträglich laut, unmittelbar vor Beginn der Schatrow-Aufführung »Blaue Pferde auf rotem Gras« am Berliner Ensemble, Motorräder über den Theater-Vorplatz. Rowdies? Sie gehörten zu Schroths Inszenierung - sein feuriges Traktat für freies Denken hatte dem erschreckten Publikum den Benzinhauch einer so ganz anderen Jugend vorgesetzt, die von den Apologeten des angeblich lohnenswerten Staates nichts mehr hören wollte.
Es war eine Zeit, da wäre der Name Schroth vielleicht eine Aussicht aufs neue, reformierte BE gewesen. Aber dafür fehlte Kulturpolitikern (und Rivalen!) der Mut. Der Regisseur ging nach Cottbus, »dorthin, wo ich gewollt werde«. Als Intendant und Inszenierender rückte er das Theater in überregionales Licht.
Schroth ist Ermutiger. Dramatiker wie Trolle, Brasch, Seidel verdankten ihm Öffentlichkeit. Gegenwart verwechselte er nie mit Aktualität. Aktualität ist verlogene Wichtigkeit, ist Journalismus; wahre Gegenwärtigkeit liegt im Gedächtnis - einer Kunst, die Menschen neugierig darauf macht, das Leben im Leben (und eben nicht nur in der Kunst!) zu genießen. Dieser Regisseur hat sich mit Geist und Einfallsreichtum nie über Dramentexte erhoben. Es gibt eben eine Intelligenz des Dienens, die lockt ein Stück gleichsam aus sich selbst heraus. Die siegt durch, ja: unmodischste Unterwerfung unter den Text. Text, der Souverän bleibt, ohne dass ihm eine Regie gefügig würde. Schwierige Kunst. Christoph Schroth hat sie stets beherrscht. Am heutigen 5. Mai wird er 75 Jahre alt.
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