Sommer, Sonne - NSU
Die wichtigsten »Partner« der Neonazi-Killer hießen: Unfähigkeit und Gleichgültigkeit
Bei allem Bemühen von Kriminalisten und Parlamentariern: Was sechs Monate nach dem wohl mehr zufälligen Auffliegen der »Zwickauer Zelle« als Ermittlungsergebnis auf dem Tisch liegt, ist nach Aussagen von Ermittlern »ausbaufähig«. Daher der neue Fahndungsaufruf. Schon bei anstehenden Haftprüfungsverfahren bestehe die Gefahr, dass inhaftierte Mordgesellen freikommen. Ein Versagen nach dem Versagen? Die Nazi-Szene würde jubeln.
Doch: Das Interesse der deutschen Öffentlichkeit an der Aufklärung der rechtsextremistischen Bluttaten hat erstaunlich schnell nachgelassen. Freilich nicht ohne Zutun verantwortlicher Politiker. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) beispielsweise hat sich medial ganz schnell wieder auf sein »Kerngeschäft«, die Verfolgung islamistisch geprägter Gewalttäter, zurückgezogen. Salafisten heißt nun das Schreckenswort.
Nach anfänglichem Getöne, nun werde man die NPD aber mal richtig verbieten, sind er und seine Länderkollegen vielsagend maulfaul geworden. Auch die Art und Weise, wie die Landesregierungen in den Terroristen-Kernländern Thüringen und Sachsen die NSU-Aufklärungsarbeit der dortigen Untersuchungsausschüsse sabotieren, spricht Bände.
Wer beim Bundeskriminalamt (BKA) nach dem Stand der NSU-Ermittlungen fragt, wird an den Generalbundesanwalt verwiesen. Wer sich bei dem erkundigt, erfährt - nichts. Einzig beim Untersuchungsausschuss des Bundestages ist noch »Feuer im Kessel«. Dort wird beteiligten Behörden noch »Dampf gemacht«.
Bislang hält das Versprechen der Ausschussmitglieder, Parteipolitik möglichst außen vor zu lassen und alles zu tun, um den in der Geschichte der Bundesrepublik einzigartigen rechtsextremistischen Mörderwahn, dem mindestens neun Migranten und eine Polizistin zum Opfer gefallen sind, aufzuklären. Nun wird es auch in Bayern einen Untersuchungsausschuss geben. SPD-Fraktionschef Markus Rinderspacher sagt: »Nach gründlicher Recherche« sei man zu der Auffassung gekommen, dass das nötig ist. »Wir sind das den Hinterbliebenen schuldig.« Nicht nur den Hinterbliebenen. Es gilt, Schlussfolgerungen zu ziehen, um Rechtsextremismus hierzulande wirklich zu bekämpfen.
Zeit wird's. Fünf der insgesamt zehn Morde, die der Zwickauer Terrorzelle zugerechnet werden, haben sich in Bayern ereignet. Die durchaus fleißigen, doch insgesamt untauglichen Ermittlungen bayrischer Polizisten und Staatsanwälte, die in der Nürnberger Ermittlungskommission »Bosporus« und der späteren Steuerungsgruppe mit- oder aus Büros des Landesverfassungsschutzes zugearbeitet haben, lassen fachliche Fehler erkennen, die letztlich möglicherweise politische Ursachen haben. Man habe »alles getan, was menschenmöglich ist« und »ermittelt, wie es besser nicht geht«. Keine Selbstkritik, kein Wort des Bedauerns kam über die Lippen des Leitenden Oberstaatsanwalt Dr. Walter Kimmel, der gestern als Zeuge vor den Berliner Untersuchungsausschuss geladen war. Er ist - weil »buchstabenzuständig« - Mitte 2001 nach dem zweiten Mord der NSU in die Sache reingeraten, die ein paar Nummern zu groß für ihn war. Bis dahin hatte Kimmel sich um Zivilrecht und Betäubungsmittelkriminalität gekümmert. Doch das zweite Opfer der NSU-Bande hieß nun einmal Özüdoğru und er, Kimmel, hatte »M bis R zu bearbeiten«.
Auch als weitere Morde in Hamburg, Rostock, Kassel und Dortmund hinzugekommen waren, bei denen dieselbe Ceska-Pistole verwandt wurde, blieb Kimmel »Herr des Verfahrens«. Es gab, so bestätigte sich gestern, mehrmals Versuche, das Bundeskriminalamt mit dem Fall zu betrauen. Das BKA selbst, das bei den Landeskollegen eine strategische Ermittlungsidee zur Ergreifung der bundesweit agierenden Täter vermisste, hatte sich 2004 und 2006 - halbherzig - um Übernahme bemüht. Die hätte womöglich zur Folge gehabt, dass der Generalbundesanwalt sich einschaltet. Auch der hatte eine Übernahme der Ermittlungen erwogen, dann aber verworfen.
So knapp unterhalb der politischen Entscheidungsebene wollte man die Mordserie wohl denn doch nicht behandeln, steht zu vermuten. Aber nein, sagt Kimmel, das Gerichtsverfassungsgesetz habe es nicht zugelassen. Die Juristen im Ausschuss wollten ihm da nicht recht folgen.
Ebenfalls gestern wandte sich der Berliner Ausschuss den von den Hauptkommissaren Udo Haßmann und Alexander Horn erstellten Fallanalysen zu. Der eine Profiler hielt es für denkbar, dass die Täter aus dem Bereich der Organisierten Kriminalität kommen. Der andere analysierte aus den Fakten das Bild eines fanatischen und dem Rechtsextremismus zugeneigten Rassisten mit Affinität für Waffen heraus. Hätte man beide Theorien zusammengeführt, wäre man dicht an den Tätern gewesen. Hätte, wäre ...
Obwohl Kimmel betonte, man habe selbstverständlich in beide Richtungen mit gleicher Intensität ermittelt, ist genau das zu bezweifeln. Trotz erfolgloser Recherchen blieb man dabei: Es handelt sich um Milieutaten, Abrechnungen unter Konkurrenten. Türken bringen Türken um ... Die Polizei schickte eine »Journalistin« los, die sich in das Vertrauen der muslimischen Opferangehörigen einschleichen sollte. Die Kripo betrieb ein halbes Jahr sogar einen eigenen Dönerstand im Milieu. Das klingt abenteuerlich, hatte man dem Lockvogel darin doch aufgetragen, die erhaltene Ware nicht zu bezahlen ... Hätte die Polizei wirklich mit gleicher Intensität in rechtsextremistische Kreise blicken wollen, so hätte sie doch nur einen Schießstand eröffnen müssen, lästerten Beobachter gestern. So makaber der Gedanke ist, Kimmel & Co. fehlten Fantasie und Überblick, sich überhaupt vorzustellen, dass Neonazis hinter den Verbrechen stecken. Wie auch?! Es gab ja keine Bekennerschreiben, sagt der Staatsanwalt.
Mag sein, dass Kimmel so simpel gestrickt ist. Umso mehr sollte der Ausschuss klären, wer warum angewiesen hat, dass - entgegen dem Rat von Experten - in der öffentlichen Fahndung kein Wort über eine mögliche rechtsextremistische Täterschaft verloren werden durfte. Kimmel weiß nur, »man« wollte »weitere Unruhe in der Bevölkerung vermeiden«.
Für die Ausschusssitzung Ende Mai ist der einstige Bayerische Innenminister Günther Beckstein (CSU) geladen. Und nachdem Otto Schily (SPD) geschickterweise bereits die politische Verantwortung für die Rechtsblindheit in seiner Innenminister-Amtsperiode übernommen hat, scheint die Vorladung seines CDU-Nachfolgers im Ressort wohl mehr als geboten. Der heißt Wolfgang Schäuble und ist jetzt als Finanzminister wichtiger Vertrauter der Kanzlerin.
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