Ein Verein, eine Stadt, ein Traum
Große Gefühle und großes Geld: das Finale der Champions League in München
Die Kaufingerstraße im Kreuzviertel ist eine der ältesten in München. Mitten im Zentrum der bayerischen Metropole grenzt sie an den berühmten Marienplatz und gehört als beliebte Shoppingmeile zur Fußgängerzone des Altstadtkerns. Eingekauft wird hier auch im traditionsreichen Hirmer-Haus, direkt gegenüber der Frauenkirche. Auch an diesem Baudenkmal ist zu sehen, dass dieser Tage in München nichts ist wie sonst. Die roten Geranien, die seit 98 Jahren die Fassade des Eckbaus schmücken, sind verschwunden. Stattdessen umspannt eine riesige Leinwand das Gebäude mit dem Motiv, das seit Tagen das gesamte Stadtbild dominiert: das Finale der Champions League - der heimische FC Bayern München gegen die Londoner vom FC Chelsea.
Während die Fieberkurve in der Stadt nach dem Halbfinalsieg gegen Real Madrid jetzt langsam ihren Höhepunkt erreicht, fesselt Uli Hoeneß der Gedanke an das Endspiel schon mehr als drei Jahre. Seit Anfang 2009 der europäische Fußballverband UEFA das Finale an München vergeben hatte, lebt dieser Traum im Präsidenten des FC Bayern: sein Verein im Endspiel im eigenen Stadion. Es ist die Krönung einer überzeugenden Saison in der Königsklasse und ein Novum. Noch nie, seit Einführung der Champions League in der Saison 1992/93, spielte eine Mannschaft auf dem eigenen Rasen um den 7,5 Kilogramm schweren Pokal aus 925er Sterling Silber.
Wer schon im Finale steht, will die 62 Zentimeter große Trophäe letztlich auch als Sieger in die Höhe stemmen. Der FC Bayern geht heute Abend favorisiert ins Spiel, trifft aber auf einen sehr robusten Gegner. Die Londoner haben in zwei Abwehrschlachten immerhin den FC Barcelona, die weltweit spielstärkste Mannschaft, aus dem Halbfinale geworfen. Doch das Duell ist mehr als nur das Spiel um die europäische Fußballkrone und mehr als der Wettstreit zweier Spielsysteme: Hier das offensiv ausgerichtete der Münchner, dass über Kombinationsfußball mit den trickreichen und schnellen Außenbahnspielern Franck Ribéry und Arjen Robben zum Erfolg kommen will. Dort der kompakte Chelsea-Stil, bei dem der Ball aus einer dicht gestaffelten Defensive meist mit langen Bällen auf die Sturmspitze Didier Drogba vor das gegnerische Tor gebracht wird. Schon vor vier Jahren hatte Hoeneß gesagt: »Wir müssen Chelsea sportlich be᠆siegen.« Dass sein FC Bayern nun im »Finale dahoam«, wie die folkloristische Lesart an jeder Münchner Ecke prangt, die Chance dazu bekommt, verschafft dem 60-Jährigen eine ganz besondere Genugtuung. In der eigenen Arena, die spätestens in acht Jahren abbezahlt ist und für den Verein dann einen Mehrwert von einer halben Milliarde Euro bedeutet. Die zügellose Geldverbrennung in den anderen großen europäischen Ligen verachtet Hoeneß.
»Wenn er den Stecker zieht, kann man die als Puzzle am Kiosk kaufen«, spottete Hoeneß über den FC Chelsea, der am Tropf seines milliardenschweren russischen Mäzens Roman Abramowitsch hängt. Allein in den vergangenen beiden Jahren hat der Londoner Klub Verluste von über 160 Millionen Euro gemacht. Nach den strengen Auflagen in der Bundesliga hätte Chelsea schon lange keine Lizenz mehr. So stilisiert Hoeneß das Duell auch zu einem zwischen Gut und Böse. »Das größte Gut, das wir beim FC Bayern haben, ist, dass wir seit 15 Jahren mit positivem Ergebnis wirtschaften«, sagte er noch in dieser Woche. Gewinnen die Münchner das Finale, erhöhen sich ihre Einnahmen aus der Champions League auf 60 Millionen Euro. Die Königsklasse des Fußballs ist eben ein gutes Geschäft. Die Einnahmen der UEFA durch diesen Wettbewerb belaufen sich jährlich auf 1,1 Milliarden Euro. Davon gibt der Verband in dieser Saison knapp 800 Millionen an die 32 teilnehmenden Teams weiter.
Große Zahlen stehen auch für die Stadt München hinter dem Ereignis, das seit vier Tagen mit etlichen Veranstaltungen lang zelebriert wird und im Finalspiel gipfelt, das weltweit über 300 Millionen Zuschauer verfolgen werden. Auf gut 2600 Werbeflächen wird die Botschaft »München Rot-Weiß« präsentiert. Die Preise für die 58 000 Hotelbetten stiegen bei einem erwarteten Besuch von 180 000 Menschen teilweise um das Sechsfache. Sogar das Nachtflugverbot wurde aufgehoben, damit ein Teil der rund 30 000 Londoner Anhänger noch direkt nach dem Spiel nach Hause kommt.
Das alles übersteige sogar den Wahnsinn der Oktoberfesttage, sagen die Münchner. Aber fast jeden freut es. Statt des Herrentags᠆katers erlebt die Stadt einen Finalrausch. Damen im Dirndl, Männer in Lederhosen und etwas Rot-Weißes in den Münchner Vereinsfarben hat fast jeder bei sich. Sie leben ihren Finaltraum auf den Straßen und Plätzen der Stadt.
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