Diesmal aber mit Plan
Der Nordosten und die inklusive Bildungspolitik
Vor etwa zehn Jahren hat sich die »Sektion Sonderpädagogik« in der »Deutschen Gesellschaft für Erziehungswissenschaft« für den internationalen Sprachgebrauch den Beinamen »Special Education and Inclusion« gegeben. Seither ist gewissermaßen amtlich, dass chronisch Kranke und anderweitig eingeschränkte Kinder möglichst nicht in den in Deutschland so genannten »Sonderschulen« unterrichtet werden sollen, sondern gemeinsam mit den anderen Kindern. Die UN fordern das seit langem.
Was »Inklusion« genau bedeutet, war gerade in Deutschland mit seiner starken Tradition des »Sonderns« lange umstritten. Heute unterscheiden Erziehungswissenschaftler zwischen »integrativen« Modellen, in denen die eingeschränkten Kinder von »Sonder«-Pädagogen am Lernprozess einer »normalen« Klasse beteiligt werden, und einem »inklusiven« Ansatz, der auf das »Sonder« verzichtet und die Schule auf Stärken und Schwächen aller Kinder abstimmt.
In einer Fünf-Stufen-Skala, die von der »Exklusion« eingeschränkter Kinder über die »Segregation« in »Sonderschulen« und die »Integration« führt, bildet die »Inklusion« das zweithöchste Stadium - danach kommt nur noch die »Normalität«, in der Behinderung als Beschulungsproblem in Vergessenheit gerät.
So weit die Theorie - mit der Praxis sah es in Deutschland lange sehr mager aus. Zwar sind die Zahlen heute nicht mehr ganz so eindrücklich wie noch vor zehn Jahren, als tatsächlich fast 90 Prozent der betreffenden Kinder in »Sonder«-Einrichtungen beschult wurden. Doch lag die Bundesrepublik weit hinten im Internationalen Vergleich.
Bis 2010 plötzlich Mecklenburg-Vorpommern vorpreschte: In einer einsamen Entscheidung strich der frühere Schweriner Bildungsminister Henry Tesch (CDU) 2010 kurzerhand die erste und zweite Klasse der bisherigen »Förderschulen«, obwohl der Anteil der Kinder, bei denen ein »Förderbedarf« festgestellt wird, im Nordosten mit sechs Prozent so hoch ist wie in keinem anderen Bundesland.
Seither liegt aber die »Inklusionsquote« im Nordosten bei zwangsweisen 95 Prozent, es bleiben nur wenige spezielle Schulen wie etwa die Landesschule für Blinde. »Das ging damals von Mai bis September«, erinnert sich die Bildungsexpertin der Linksfraktion, Simone Oldenburg: »Ohne jede Vorbereitung, geschweige denn zusätzliche Mittel«. Aus ihrer Sicht war die »Inklusion« bisher ein Desaster.
Deshalb ist die LINKE dem Inklusions-Grundsatzkonsens, den Bildungsminister Matthias Brodkorb (SPD) nun mit den vier demokratischen Fraktionen vereinbart hat, nicht ohne Vorbehalte beigetreten. »Wir holen jetzt die Diskussion nach, die vor 2010 nötig gewesen wäre«, sagt Oldenburg, die die Inklusion im Grundsatz unterstützt. »Aber bitte mit Plan!« Auf ihr Drängen wurde in der am Dienstag vereinbarten gemeinsamen Absichtserklärung ausdrücklich eine ausgearbeitete Finanzplanung eingefordert, was man für selbstverständlich halten sollte.
Das ist es offenbar aber nicht: Für die bereits von Tesch »inkludierten« Kinder will die SPD/CDU-Landesregierung trotz der ambitionierten Pläne weiterhin kein Geld ausgeben. Die Linkspartei ist erst jüngst mit entsprechenden Anträgen im Bildungsausschuss gescheitert.
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