Wenn Kriegsbilder erschrecken

Prozess um Wolfram Kastners Foto-Schau

  • Britta Schultejans, dpa
  • Lesedauer: 3 Min.
Wann geht Kunst zu weit? Diese Frage beschäftigt das Münchner Amtsgericht. Im Zentrum des Streits stehen Fotos schrecklich verstümmelter Kriegsopfer. Darf ein Künstler so etwas zeigen?

München. Auf den ersten Blick geht es um ein Bußgeld von 273 Euro, auf den zweiten aber um viel mehr: die Freiheit der Kunst. So sieht das zumindest der Münchner Künstler Wolfram Kastner. Im vergangenen Jahr zeigte er in einer Ausstellung mit dem Namen »teilen statt kriegen« unter anderem Fotos von fürchterlich verstümmelten Kriegsopfern. Weil die Schau in einem Raum mit großen Fenstern und mitten in einem Wohngebiet zu sehen war, schlugen mehrere Eltern im April vergangenen Jahres Alarm und verständigten die Polizei. Ihre Kinder hatten die Bilder entdeckt.

Bußgeld verweigert

Beamte rückten daraufhin an, um die Fenster mit Decken zu verhängen. Das Kreisverwaltungsreferat der Stadt verdonnerte Kastner am 5. August 2011 zu einem Bußgeld von 273 Euro wegen »Belästigung der Allgemeinheit«.

Kastner weigerte sich »selbstverständlich«, das Bußgeld zu bezahlen, wie er mitteilte. Und darum landet der Streit heute vor dem Münchner Amtsgericht. Es gehe in diesem Verfahren um »die grundgesetzlich garantierte Freiheit der Kunst«, erklärte Kastner, und darum, ob sie »in die für das gedeihliche Zusammenleben unserer Rechtsgemeinschaft erforderliche Ordnung passt«. Eine Sprecherin des Kreisverwaltungsreferates betonte die Frage des Kinder- und Jugendschutzes: Die Kinder hätten keine Möglichkeit gehabt, sich zu entscheiden, ob sie die Bilder sehen wollten oder nicht. Außerdem seien viele den Fotos ohne Begleitung der Eltern ausgesetzt worden. Das sei nur schwer zu bewältigen.

Der Münchner Künstler Kastner, der immer wieder für Schlagzeilen sorgt - unter anderem mit einem »Antimonarchistischen Baden« im Starnberger See zum Todestag Ludwigs II. unter dem Motto »Schwimm Dich frei von der Ludwixerei« - hat auch einen prominenten Fürsprecher auf seiner Seite. Der Direktor des Museums Brandhorst, Armin Zweite, verfasste ein Gutachten, das dem Amtsgericht vorliegt. »Es ist einigermaßen unverständlich, dass eine so dezidiert pazifistische Ausstellung jetzt zum Anlass wird, dem Künstler ›Belästigung der Allgemeinheit‹ und einen Verstoß gegen das Ordnungswidrigkeitsgesetz vorzuwerfen«, schreibt er.

Kastners Stimme, sein Engagement für die Aufarbeitung nationalsozialistischer Verbrechen und der deutschen Geschichte überhaupt und ihrer Verbindung mit dem Militarismus müsse gehört werden, betont Zweite. Er stellt den Künstler und seine Schau in eine Reihe mit Ernst Friedrich, dessen Ausstellung mit Fotos von verstümmelten Gesichtern von Opfern des Ersten Weltkrieges 1922 in Berlin großes Aufsehen erregt habe.

Ein weiterer Gutachter

Museumsdirektor Zweite wird nach Angaben des Amtsgerichtes am Donnerstag nicht als Gutachter im Prozess auftreten, Kastners Anwalt habe einen anderen Sachverständigen benannt. Außerdem sollen weitere Zeugen, Ausstellungsbesucher, Eltern und auch ein Polizist aussagen.

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