Die Rache für Heydrichs Tod war grausam

Vor 70 Jahren gelang tschechischen Widerstandskämpfern das erste erfolgreiche Attentat auf einen Naziführer

  • Rolf Höller
  • Lesedauer: 4 Min.

Die E 55 ist die direkte Verbindung von Dresden nach Prag. Wer hinunter an die Moldau möchte, kann kurz vor der Stadtgrenze abkürzen. Die Straße Nr. 608 führt über die Stadtteile Kobylisy und Libeň nach Holešovice, wo der Fluss einen großen Bogen macht. In Libeň bremste früher eine Haarnadelkurve den bergabführenden Verkehr. Später wurde sie entschärft.

In dieser Kurve steht am Morgen des 27. Mai 1942 eine deutsche Mercedes-Limousine mit heruntergerolltem Verdeck. Der rechte Hinterreifen ist platt, Front- und Seitenscheibe sind durchschossen, im hinteren rechten Kotflügel in Höhe der Sitzbank klafft ein Loch. Auf der Kühlerhaube liegt der Fahrgast, schwer verletzt, und stöhnt. Weiter bergab sitzt der Chauffeur, mit einer Kugel im Oberschenkel. Der SS-Mann Johannes Klein hat versucht, einen der beiden Attentäter zu stellen, die soeben einen Anschlag auf seinen Chef verübt haben.

Reinhard Heydrich war auf den Tag genau acht Monate zuvor in den Prager Hradschin gezogen. In die Pläne zur so genannten Endlösung der Judenfrage eingebunden, sollte er zunächst im Protektorat Böhmen und Mähren für Ordnung sorgen, den Widerstand dort brechen und die tschechische Intelligenz vernichten. Eine Hinrichtungsliste hatte er bereits mitgebracht, die systematische Terrorisierung der Bevölkerung minutiös geplant.

Die tschechoslowakische Exilregierung unter Edvard Beneš schaute sich das nicht lange an. Nach den ersten Morden an politischen Häftlingen kam vom Londoner Exil aus der Befehl, Heydrich zu beseitigen. Zwei Fallschirmspringer, der Tscheche Jan Kubiš und der Slowake Jozef Gabčík, wurden in England für das Attentat geschult. Ein Flugzeug schleuste sie in den Luftraum ihrer Heimat, wo sie in der Nähe Prags absprangen und bei eingeweihten Helfern untertauchten. Rasch hatte der tschechische Untergrund Heydrichs tägliche Dienstroute ausfindig gemacht.

Vor der Haarnadelkurve wurde ein Komplize postiert. Josef Valčík sollte mit dem Taschenspiegel blinken, sobald Heydrichs Limousine vorbeifuhr. Um 10 Uhr 29 ist es so weit.

Gabčík stürmt nach vorn, eine gerade ankommende Straßenbahn macht für den Fahrer Klein jedes Ausweichmanöver unmöglich. Der Attentäter zieht seine Maschinenpistole, um das Magazin mit 32 Schuss in Heydrichs Wagen zu entleeren. Doch die Waffe blockiert. Zum Glück gibt es noch einen Plan B. Bevor Heydrich seine Pistole ziehen und seinerseits feuern kann, rollt Kubiš eine panzerbrechende Granate unter das rechte Hinterrad. Die Bombe explodiert, die Detonation bringt sogar die Scheiben der Straßenbahn zum Bersten. Auf die Idee, mit seiner Pistole noch einmal ins Wageninnere zu feuern, kommt Kubiš nicht; vielleicht auch, weil Klein auf ihn zurennt.

Heydrich kann seinen Wagen aus eigener Kraft verlassen, dann übermannt ihn der Schock. Was er nicht weiß: Er ist tödlich getroffen. Doch nicht die Splitter der Bombe werden ihn umbringen, sondern der Filz der Sitzpolsterung, der von hinten in seine Bauchhöhle eingedrungen ist. Am 4. Juni stirbt Heydrich an einer Sepsis. Hätte den Nazis damals bereits Penicillin zur Verfügung gestanden, wäre Heydrich vermutlich nicht gestorben.

Gabčík, Kubiš und Valčík konnten zunächst entkommen und in vorbereiteten Fluchtquartieren bei Prager Familien untertauchen. Als Hausdurchsuchungen angeordnet wurden, versteckten sie sich mit vier weiteren Fallschirmspringern in der Borromäus-(heute Cyril und Method-)Kirche zwischen Karlsplatz und Moldauufer. Ihr Unterschlupf wurde verraten. Am 18. Juni umstellten Gestapo und Wehrmacht die Kirche. Keiner der darin Verschanzten wollte sich ergeben. Alle Sieben starben erst nach mehrstündigem Feuergefecht.

Im Anschluss an das Attentat wurden 3000 Prager willkürlich verhaftet, 1300 von ihnen hingerichtet. Als weitere Vergeltung ermordeten Angehörige der SS 321 Bewohner der Ortschaft Lidice. Dort, 20 Kilometer westlich der Hauptstadt, sollen die Attentäter angeblich beherbergt worden sein. Später stellte sich dies als Propagandalüge heraus.

Heute sind die Straßen rund um den Anschlagsort im Stadtteil Libeň nach den Attentätern benannt: Gabčíkova, Kubišova und Valčíkova. Ihr Denkmal bekamen die Freiheitskämpfer aber erst 67 Jahre später. Es wurde in der Kurve errichtet, in der die Tat ausgeführt wurde. Lange diskutierte man in der tschechischen Öffentlichkeit angesichts der Folgen und der vielen Opfer der Vergeltungsmaßnahmen, wie sinnvoll das Attentat war. Immerhin: Es war das erste Mal, dass ein ranghoher Nazi einem Anschlag zum Opfer fiel. Am wichtigsten war wohl die Außenwirkung: Es zeigte der Welt, dass ein von Deutschland unterworfenes Volk sich dem Naziterror nicht widerstandslos ergab.

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