Reden ist Gold
Organspende soll nicht länger tabu sein
Wenn der Tod kommt, ist es zu spät. Was zu besprechen ist, muss vorher geklärt werden - auch die Bereitschaft, Menschen mit schwerstkranken oder bereits ausgefallenen Organen noch zu einem besseren Leben zu verhelfen. »Die Organspende ist in unserer Gesellschaft eigentlich ein Tabu«, urteilt Jörg Kalff, leitender Chirurgie-Professor am Uniklinikum Bonn. Solange dies so bleibt, werden auch weiterhin sehr viel weniger Nieren, Herzen, Lungen oder Lebern gespendet werden, als es verzweifelt wartende Abnehmer dafür gibt. »Wären Spenderorgane keine Mangelware, bräuchten wir gar kein Transplantationsgesetz«, sagt der Jurist Torsten Verrel, Direktor des Kriminologischen Seminars der Universität Bonn und Mitglied der »Ständigen Kommission Organtransplantation« der Bundesärztekammer.
Allein etwa 8000 Menschen in Deutschland brauchen eine neue Niere. In der Regel müssen schwerst Nierenkranke fünf bis sechs Jahre auf eine Transplantation warten. Bei nötigen Herz- oder Lungentransplantationen hingegen ist kein langer Aufschub möglich. »Wenn diese Menschen nicht bald ein Spenderorgan bekommen, müssen sie sterben«, sagt der Transplantationsexperte Kalff.
Der Beschluss des Bundestags, das Transplantationsgesetz (TPG) so zu ändern, dass alle Krankenversicherten erstmals 2012 und dann regelmäßig erneut nach ihrer Bereitschaft zur Organspende gefragt werden (»Entscheidungslösung«), könnte das Angebot an Spenderorganen vergrößern - das hoffen zumindest viele Mediziner. Zurückhaltend äußert sich Jörg Kalff. Wie sich die Änderung auswirken werde, sei »sehr schwer vorhersehbar«, sagt der Chirurg. »Sicher ist nur: Viel schlechter können wir eigentlich nicht werden.« Zumindest erhofft sich der Leberspezialist von der geänderten Regelung eine angeregte öffentliche Diskussion »und damit hoffentlich auch die Erörterung in der Familie, der Schule, im Fernsehen, am Stammtisch oder beim Gespräch unter Freunden«.
Bisher liegt ein Mangel des TPG in der »erweiterten Zustimmungslösung«. Hat ein Mensch keinen Organspendeausweis ausgefüllt, dürfen die Ärzte nach seinem feststehendem Hirntod die nächsten Angehörigen fragen, ob sie einer Organentnahme zustimmen. Dabei sind die Ehegatten, ständigen Lebenspartner oder engsten Verwandten gehalten, im Sinne des Toten zu entscheiden.
Doch genau hier liegt das Problem. Sehr oft hat sich der Betreffende zu Lebzeiten nicht eindeutig geäußert, und die Angehörigen sind kurz nach dem Tod ihres Verwandten mit der Entscheidung belastet und überfordert, sagt Jörg Kalff aus Erfahrung. Und der Zeitdruck ist meist groß, da der bestgeeignete Organempfänger, ausgewählt von der Vermittlungsstelle Eurotransplant im niederländischen Leiden, von Chirurgen auf die Einpflanzung vorbereitet werden muss. Genau hier setzt Kalffs Hoffnung an, die Entscheidungslösung möge das Beinahe-Tabu aufbrechen. Es habe nämlich »keinen Sinn«, sich »im stillen Kämmerlein« für oder gegen die Organspende zu entscheiden. Viel besser sei es, die Frage rechtzeitig mit der Familie zu diskutieren und zu entscheiden. Da laut Deutscher Stiftung Organtransplantation (DSO) »in neun von zehn Todesfällen« die Angehörigen gefragt werden müssen, schlummert hier ein gewaltiges Potenzial an möglichen Spenderorganen.
Umso wichtiger sind einfühlsame und in größtmöglicher Ruhe geführte Gespräche mit den oft im Krankenhaus anwesenden Angehörigen eines Hirntoten. Doch auch für die zuständigen Mediziner sind diese im hektischen Klinikbetrieb eine seelische Strapaze. Die Ärzte auf der Intensivstation würden in der Ausbildung meist nicht auf diese Gespräche vorbereitet, bedauert die DSO.
Am ehesten freilich schafft auch künftig ein Spenderausweis Klarheit. Auf dem blau, orange- und beigefarbenen Kärtchen kann sich jeder volljährige Bundesbürger auf ein klares Nein oder ein klares Ja zur Organspende festlegen. Als dritte Möglichkeit steht das bedingte Ja zur Auswahl, mit dem die Bereitschaft zur Spende bestimmter Organe oder Gewebe kundgetan werden kann. Das Kärtchen steht im Internet bereit.
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