»Geist von Rio« ist verflogen

Vom globalen Scheitern des Konzeptes der nachhaltigen Entwicklung

  • Ulrich Brand
  • Lesedauer: 4 Min.

Vor genau 20 Jahren, im Juni 1992, fand in Rio de Janeiro die UNO-Konferenz zu Umwelt und Entwicklung statt, bei der der Begriff »sustainable development« (nachhaltige Entwicklung) zu einer wichtigen politischen Orientierung ausgerufen wurde. Das Prinzip der ökologischen Nachhaltigkeit kommt ursprünglich aus der Forstwirtschaft und besagt, dass nicht mehr aus einem Wald an Holz genommen werden sollte als nachwachsen kann. In den 1980er Jahren wurde das im Zuge der ökologischen Krise aufgenommen und um soziale sowie wirtschaftliche Dimensionen ergänzt.

In diesem Sinne sollte 1992, wenige Jahre nach dem Mauerfall, die internationale Politik neu ausgerichtet werden. Im Ergebnis standen eine umfassende »Erklärung von Rio« und ein anregendes, über 350 Seiten starkes Kompendium der »Agenda 21«. Letztere war Vorlage für viele »Lokale-Agenda-21«-Prozesse. Es lagen auch zwei Verträge zur Unterschrift aus: die Konvention über biologische Vielfalt und die Klimarahmenkonvention.

Irgendwie geht es jedoch seit damals mit nachhaltiger Entwicklung nicht voran: Die CO2-Emissionen steigen, der Klimawandel wird nicht bekämpft, der Verlust der biologischen Vielfalt nimmt zu. Das Soziale entwickelt sich auch nicht nachhaltig, sondern Hunger und Verarmung, soziale Polarisierung und Ausschluss nehmen in vielen Ländern zu. Der vielbeschworene »Geist von Rio« ist erloschen.

Die Klimakonferenz 2009 in Kopenhagen war ein Vorgeschmack. Mit dem jüngsten Ausstieg Kanadas aus dem Kyoto-Protokoll hat ein Land, das mit einer liberalen Regierung immer zu den Antreibern der Prozesse zählte, unter konservativer Ägide nun den nationalen Interessen ganz ausdrücklich Vorrang eingeräumt: dem Interesse nämlich, nicht für die Versäumnisse in der Klimapolitik auch wirklich einstehen, d.h. einige Milliarden Dollar bezahlen zu müssen.

Doch die Kritik am »Rio-Typus von Politik« ist wesentlich älter und lässt sich folgendermaßen zusammenfassen: Erstens dominierte eine falsche Vorstellung, dass die Regierungen im Modus der internationalen Kooperation wirkungsvolle politische Instrumente entwickeln könnten. Zusammen mit Christoph Görg habe ich das als »Mythos globalen Umweltmanagements« bezeichnet. Die tiefe ökonomische, politische und kulturelle Verankerung des industriell-fossilistischen Kapitalismus, der ja nicht nur die Interessen des Kapitals bedient, sondern auch Steuereinnahmen des Staates und Einkommen der Erwerbstätigen generiert, wurde damit unterschlagen. Es wird deutlich, dass der Rio-Prozess sich immer um die zentrale Frage gedrückt hat, wie nämlich die westliche Produktions- und Lebensweise wirklich verändert werden kann. Derzeit wird sie ja eher in die Mittelschichten der Schwellenländer globalisiert. Und es wird systematisch die Frage ausgeblendet, wer eigentlich die Produktions- und damit Konsumnormen setzt – nämlich sehr stark sich in Konkurrenz befindende privatkapitalistische Unternehmen.

Zweitens kam es im Rio-Prozess insgesamt und vor allem in der Klimapolitik zu einer zunehmenden Engführung in den Verhandlungsprozessen auf Umweltfragen zu Lasten entwicklungs- und wirtschaftspolitischer Fragen. Die Dynamiken der neoliberalen Globalisierung – die sich politisch-institutionell in der Gründung der Welthandelsorganisation (WTO) 1995 äußerten – spielten keine Rolle in den Rio-Prozessen. Der diplomatische Optimismus wurde vom damaligen UN-Generalsekretär Kofi Annan 2002 zur »Rio+10«-Konferenz in Johannesburg auf die Spitze getrieben: »Wir müssen die Globalisierung für nachhaltige Entwicklung nutzen.«

Drittens: Die »Strukturblindheit« des Rio-Prozesses verlängerte sich ins nächste Jahrhundert. Ab 2000 führte der Aufstieg der Schwellenländer zu einer neuen geopolitischen und geoökonomischen Konstellation. Er ist ein Grund dafür, warum Regierungen wie die indische auf ihre Verschmutzungsrechte in Sachen CO2-Emissionen pochen, da es sich um das vermeintliche Recht auf Entwicklung handelt. Die internationalen umweltpolitischen Institutionen wurden zu Terrains, auf denen nicht mehr nur Umweltpolitik betrieben wurde, sondern auf denen auch zunehmend geopolitische und geoökonomische Konflikte ausgetragen wurden. Die wachsende Konkurrenz führt auch dazu, dass die EU stärker Ressourcenpolitik – aber nicht unbedingt Ressourcenschutzpolitik – betreibt, damit die materiellen Grundlagen der europäischen Industrie gesichert bleiben.

Die bevorstehende UN-Konferenz »Rio+20« dürfte dennoch politisch wichtig werden, denn sie wird den globalen Eliten ein neues Konzept an die Hand geben, das auf der Höhe der Zeitläufte Orientierung stiften kann. Großprojekte wie die Initiative Desertec für Solarstrom aus der Sahara oder Offshore-Windkraftanlagen werden damit in einen größeren Kontext gestellt, umstrittene Projekte wie Geo-Engineering oder CO2-Abscheidung und Speicherung möglicherweise als Beitrag zu Nachhaltigkeit und hin zu einer »grünen Ökonomie« gerechtfertigt.

Aus linker Perspektive müssten ökologische Fragen viel stärker als soziale und als Machtfragen thematisiert werden. Ökologische Mobilität ist solidarische Mobilität, gute Lebensmittel muss es für alle geben. Dass in der Linkspartei immer noch die Kräfte dominieren, die sozial-ökologisch blind sind und »Öko« als Luxusfrage denunzieren und nicht als Macht- und Gestaltungsfrage begreifen, ist Teil des Problems.


Teil 2 der Serie am kommenden Freitag beschäftigt sich mit den UN-Umweltkonventionen.

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