Recycelte Propaganda

Brotfabrik zeigt Doku über Nicolae Ceauescu

  • Kira Taszman
  • Lesedauer: 3 Min.

Despoten wären nicht Despoten, wenn sie nicht an massiver Selbstüberschätzung und massivem Realitätsverlust leiden würden. Auch die Selbstdarstellung solch diktatorischer Machtmenschen diente dem Zweck, sich selbst als allmächtigen Anführer zu stilisieren, alles im Dienste der allseits beschworenen, volksbeglückenden Ideologie, versteht sich.

Dass Propagandamaterial aber auch in höchstem Maße selbstentlarvend ist, kann man nun in Andrei Ujicăs Dokumentarfilm »The Autobiography of Nicolae Ceaușescu« (2010) begutachten, der zurzeit im Kino in der Brotfabrik läuft. Die Doku, in Deutschland zuletzt vor zwei Jahren zu sehen, hat den wohl gefürchtetsten realsozialistischen Diktator Europas zum Gegenstand. Sie verwendet ausschließlich offizielles staatliches Filmmaterial über den 1965 an die Macht gekommenen rumänischen Politiker. Wie sich der aus einfachen Verhältnissen stammende Ceaușescu dabei vom anfänglich Moskau-kritischen Querschläger zum megalomanen Tyrannen entwickelte, kann man anhand der klugen und effektiven Montage nachvollziehen.

An Anfang und Ende des dreistündigen Filmes, dessen Bilder aus mehreren 1000 Stunden teilweise unveröffentlichten Filmmaterials herausgefiltert wurden, stehen die einzigen Dokumente, die Ceaușescu als gefallenen Diktator zeigen. Der 71-Jährige sitzt als Gefangener eines improvisierten Militärtribunals neben seiner Frau im Wintermantel hinter zusammen geschobenen Schulbänken. Ungläubig, aber noch voller Hybris verweigert er Antworten und weiß nicht, dass ihm nur noch wenige Stunden zu leben bleiben.

Dann setzen die offiziellen Bilder ein, Schwarz-Weiß-Dokumente über die Beerdigung des vorherigen Machthabers Gheorghiu-Dej und Ceaușescus Amtsantritt. Es folgen 1. Mai-Paraden, Ceaușescu beim Umarmen von Kindern, auf einem Jahrmarkt in Fellmütze, dankbares und glückliches Volk, fidele Musik - nichts, was den Rumänen damals von seinen realsozialistischen Amtskollegen unterschieden hätte.

Doch als Außenpolitiker setzte er Zeichen. So spricht er sich auf einer in sehr jovialem Ton gehaltenen Pressekonferenz in der CSSR des Prager Frühlings deutlich gegen die Einmischung eines sozialistischen Landes in die Innenpolitik eines anderen aus. Später verurteilt er aufs Schärfste den Einmarsch der Truppen des Warschauer Pakts und beweist damit eine gewisse Eigenständigkeit gegenüber Moskau. In diesen Geist reiht sich auch sein demonstrativer Empfang von US-Präsident Nixon ein, sowie Aufnahmen einer rumänischen Jugend, die fröhlich zu westlicher Pop-Musik tanzt.

Der Personenkult kam nur wenige Jahre später. Inspiriert durch Mao und Kim Il Sung häufte er Ämter über Ämter an, wurde schließlich zum vollkommenen Dominator: bis zum bitteren Ende. Zwischendurch erblickt man im Film den Privatmann Ceaușescu: mit Gattin Elena am Meer und natürlich auf der Jagd. Einigen Dokumenten fehlt der Ton, aber die Bilder allein sprechen Bände. Ansonsten muss der Zuschauer viel Deduktions- und Ergänzungsarbeit leisten. Auf optische oder akustische Erklärungen verzichtet Ujică. Doch wenn immer wieder Baustellen gezeigt werden, assoziiert selbst der historisch halbgebildete Zuschauer dieses Bild mit dem wahnsinnigen Bauvorhaben des Parlamentspalastes, mit dem sich Ceaușescu selbst ein Denkmal setzen wollte. Als er dessen marmordekorierte Hallen gen Ende des Films inspiziert, weiß man, dass sein für diesen Prunk darbendes Volk seinen Despoten bald danach nicht mehr durchfüttern wird.

Bis zum 6.6. (außer am 3.6.) in OmenglU, 20 Uhr in der Brotfabrik, Caligariplatz 1, Weißensee

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