Wut über Urteil gegen Mubarak
Erneut wurde der Kairoer Tahrir-Platz zum Sammelpunkt des Zorns
Erst im Verlaufe des Sonntags kehrte in Kairo allmählich wieder Ruhe ein. Auf dem Tahrir-Platz, dem Hauptschauplatz der Revolution von 2011, hatten rund 20 000 Menschen die Nacht zuvor in Zelten verbracht. »Das ist unser Platz«, war auf Plakaten zu lesen, und: »Die Revolution geht weiter.«
Tausende Polizisten waren Samstagfrüh in den Straßen des Kairoer Stadtzentrums aufgezogen. Doch gegen die Massen von wütenden Menschen hatte die Staatsmacht keine Chance. Immer wieder gerieten Demonstranten aneinander: jene, die sich ein noch härteres Urteil, am besten die Todesstrafe, gegen den ehemaligen Präsidenten Hosni Mubarak und seine Vertrauten erhofft hatten, und jene, die glauben, dass er zu Unrecht vor Gericht gestellt worden ist. »Wir können von Glück sagen, dass es kein Blutvergießen gab«, sagte ein Polizeikommandeur am Abend gegenüber BBC News: »Der Graben zwischen den Menschen ist sehr tief.«
Und das Urteil hat nichts getan, um dies zu ändern. Nein, verkündete der Richter, weder Mubarak noch seine beiden Söhne, noch der damalige Innenminister Habib al-Adli oder die ebenfalls vor Gericht gestellten Ex-Chefs der Sicherheitsdienste hätten den Befehl gegeben, auf Demonstranten zu schießen. Nein, sie hätten sich auch nicht bereichert. Aber ja: Mubarak und Adli hätten geduldet, dass das Feuer auf die Menschenmengen eröffnet wurde, und seien damit verantwortlich für den Tod von mindestens 850 Menschen.
Während der Verlesung des Urteils wurden die Richter als »Marionetten des Regimes« beschimpft. Später kündigten beide Seiten Revision an. Die Richter seien vom regierenden Militärrat beeinflusst worden, dem Mubarak-Regime so wenig Schuld zuzuschieben wie möglich, kritisierte der Staatsanwalt. Immerhin hätten die Mitglieder des Militärrates früher Mubarak treu gedient.
Die Verteidigung monierte hingegen, das Gericht habe den Schuldspruch »an den Haaren herbei gezogen«, obwohl keinem der Angeklagten ein Fehlverhalten nachgewiesen wurde. Die Frage nach den Verstrickungen von alten und neuen Machthabern ist momentan in Ägypten allgegenwärtig. So wurden in der Nacht zum Sonntag zwei Büros des Präsidentschaftskandidaten Ahmed Schafik angegriffen. Schafik, der sich am 16./17. Juni in einer Stichwahl Mohamed Morsi von der Muslimbruderschaft stellen wird, war der letzte Premier vor dem Sturz Mubaraks.
Bei der israelischen Regierung, wo die Entwicklungen im Nachbarland besonders aufmerksam beobachtet werden, sorgte die Nachricht vom Schuldspruch gegen Mubarak für Bedauern: Mubarak, so hieß es, sei ein starker Partner gewesen, der maßgeblich zu Frieden und Sicherheit in der Region beigetragen habe.
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