Parade der Abkürzungen

Geistverlassen: »Fokus DDR« in Berlin

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 3 Min.

Eine Ausstellung, so sollte man denken, sei das Gegenteil von Zurschaustellung. Aber wenn es um die DDR geht, macht man schon mal eine Ausnahme auch im Berliner Deutschen Historischen Museum, das mit »Fokus DDR« einen neuen Tiefstand in Sachen Erkenntnisgewinn abliefert.

Der Idee, oder besser: der Einfall, der »Fokus DDR« zugrunde liegt: Dies sei doch ein Land der Abkürzungen und Paraden gewesen, also sollte man mal eine Ausstellung als Parade der Abkürzungen machen - von PCK (Petrolchemisches Kombinat) bis zu PdR (Palast der Republik). 260 Exponate - in einen einzigen Raum gequetscht, ein Rundgang durch ein Kuriositätenkabinett, eher noch Trödelladen, so scheint es. Wenn es wenigstens witzig wäre! Aber es ist bieder-ideologisch, wie es Agitationsveranstaltungen der SED waren, vielleicht nur einfältiger, historische Zusammenhänge betreffend.

Ja, es steht schlecht um das historische Bewusstsein, das ohne erhellende Nuance zur Propaganda verkommt - wie nicht zuletzt an der DDR selbst zu lernen wäre. Gleich zu Beginn wird kein Zweifel daran gelassen, was einen hier erwartet unter lauter Transparenten und Losungen: »Die Lehre von Marx und Lenin ist allmächtig, weil sie wahr ist.« Oder: »Der Marxismus-Leninismus triumphiert.«

Dass er in der Realität nicht triumphierte, weiß jeder, aber über Gründe nachzudenken, ist das hier kein Anlass. Wie in einem Warenhaus werden Reste des ideologischen Selbstbildes eines untergegangenen Staates ausgestellt. Gab es keinerlei historische Kontexte - keine Militärblöcke, atomare Kriegsangst, Wettrüsten? Alltag hier besteht aus sieben an der Wand drapierten Nyloneinkaufsbeuteln, Spee-Waschmittel und Fit-Spülmittel, auch eine Tüte Rote-Grütze-Puddingpulver ist zu besichtigen. Und das unter Blicken von dutzenden Büsten: Marx, Engels, Lenin, Thälmann, Pieck ...

Gläser und Teller aus dem Palast der Republik (PdR) sind da, der Palast selbst ist bekanntlich längst abgerissen - an seiner Stelle steht heute eine Info-Box, über deren ästhetische Wirkung man besser schweigt. Was will man mit dieser Ansammlung von Requisiten - fast möchte man sagen: Reliquien - sagen? Da ist die Jacke vom Jagdanzug Erich Honeckers, eine echte Kalaschnikow, die »Ausgangsuniform« von Armeegeneral Heinz Hoffmann (wer gibt eigentlich einem Armeegeneral Ausgang?), Vitrinen mit Wimpeln - und immer wieder Uniformen, auch ein »Bergmannehrenkleid« (1962). Ansonsten Plattenbauwüsten und Tempo-Erbsen, Schallplatten (Titel: »Waffenbrüder - Klassenbrüder«), ein Spielzeugmodell des »Trabant« nebst Handbuch »Wie helfe ich mir selbst« ...

Das ist geistverlassen, als ob man für eine Ausstellung der bundesdeutschen Geschichte nur Bundeswehruniformen, Bilder von Erotik-Shops, Drogendealern, Pauschaltouristen, Schlangen vor Arbeitsämtern, Waschmittelwerbung und Sommerschlussverkaufsgerangel zusammenstellen würde.

Ein einziges Exponat in all dem Ramsch berührt dann doch, was wohl ganz und gar nicht im Sinne der Ausstellungsmacher ist - die hier ausgerechnet Fritz Cremers Figur aus der »Buchenwaldgruppe« (1952/58), einen ausgezehrten und leidenden Menschen, der ganz ohne Pathos in die Freiheit taumelt, als Zeugnis des ritualisierten Antifaschismus der DDR benutzen. Der Ausstellungskommentar verweist auf das DDR-Selbstbild des »siegreichen antifaschistischen Kampfes der kommunistischen Häftlinge«. Wie blind! Um Siegen geht es bei Cremer nun gerade nicht. Aber um die Wahrheit der Kunst inmitten komplexer historischer Zusammenhänge geht es wiederum in »Fokus DDR« nicht. Zu besichtigen ist erneut die Krux einer triumphierenden Geschichtsauffassung, die verhindert, aus der Geschichte zu lernen. Vor allem dies: dass es in der Geschichte (die bekanntlich lang ist) keine Sieger gibt.

Da wir in einer Demokratie leben, gibt es eine Ecke mit Wandzeitung, wo sich Besucher äußern können. Da lesen wir sehr Unterschiedliches. Etwa: »Welch ein Glück, dass Adenauer sich zum Westen orientiert hat und allen Versuchen zu ›Wiedervereinigung‹ widerstand.« Aber auch: »Diese Ausstellung ist keine Ausstellung. Einseitig, polemisch.« - »Das ist nicht die DDR, in der ich gelebt habe«, oder: »Etwas tiefgründiger wäre schöner gewesen.«

Geöffnet bis 25. November

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