Pikanter Wechsel
Der Nordire James McClean spielt mittlerweile für Irland
Am 18. Juni 1994 erschütterte das Massaker von Loughinisland die Welt. In der »Heights Bar« des nordirischen Dorfes schauten sich Fußballfans das WM-Spiel zwischen Irland und Italien an, als ein paramilitärisches Todeskommando das Lokal stürmte und das Feuer eröffnete. Sechs Menschen starben, allesamt Katholiken. Genau 18 Jahre nach dem noch immer nicht ganz aufgeklärten Attentat wollte die irische Nationalmannschaft in ihrem letzten EM-Spiel am Montag in Poznan - wieder gegen Italien - mit Trauerflor auflaufen und damit der Opfer des Massakers gedenken.
Besonders emotional dürfte diese Geste für den gebürtigen Nordiren James McClean sein. Bei der Tragödie war der damals fünfjährige James zwar zu klein, um alle Zusammenhänge zu verstehen, aber auch schon zu alt, um davon unberührt zu bleiben. Der blutige Nordirlandkonflikt um Identität, Macht und Religion hat den Mittelfeldspieler geprägt - und zu einem pikanten Nationenwechsel bewegt. Weil er sich als bekennender Katholik in dem Verband seines betont protestantischen Geburtslandes nicht mehr wohl gefühlt hat, spielt McClean nun für Irland.
In seiner Heimat gilt er deswegen als Verräter. Der 23-Jährige bekam über sein Profil beim Kurznachrichtendienst Twitter sogar Morddrohungen, als ihn Irlands Nationaltrainer Giovanni Trapattoni für die EM nominiert hatte. Doch McClean ist keiner, der sich davon einschüchtern lässt. »Ich liebe all die Beleidigungen von schockierten Fans Nordirlands. Kümmert Euch doch darum, unser Land bei der EM zu sehen ... Oh wartet, mein Fehler!«, twitterte er als trockene Reaktion auf die vielen negativen Kommentare. Danach schloss er sein Twitterprofil.
Früher war McClean für die nordirische U21 aufgelaufen, doch dort hat er sich nie heimisch gefühlt. »Ich glaube, jeder Katholik würde lügen, wenn er sagt, er fühle sich bei all den Liedern und Flaggen wohl«, sagte der Mittelfeldspieler.
Im überwiegend katholischen Irland macht sich McClean mit solchen Aussagen beliebt. Bei seinem Länderspieldebüt vor drei Monaten gegen Tschechien wurde er mit tosendem Applaus empfangen. Der dynamische Außenspieler verzauberte bei seiner Premiere sogar den Maestro. »Ich dachte: Wer ist das? Messi? Maradona? Pelé?«, sagte Trapattoni und nominierte das Talent nach nur einem Länderspiel für die EM.
»Trap« ist egal, ob es sportliche, politische oder religiöse Gründe waren, die McClean zum Seitenwechsel veranlassten. Er kann einen jungen und aufstrebenden Mann für die Zeit nach der EM gut gebrauchen. McClean gilt als Symbol für den anstehenden Generationswechsel. Beim englischen Premier-League-Klub AFC Sunderland legte der Mittelfeldrenner eine sensationelle zweite Saisonhälfte hin, nachdem er noch vor sechs Monaten nur im Reserveteam hatte spielen dürfen.
Doch für James McClean bedeutet der sportliche Erfolg nicht alles. Er will sich wohlfühlen in seinem Umfeld - auch wenn er dafür die Seiten wechseln muss.
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