Schlecht organisiertes Verbrechen

»Heiße Wammer« - ein Krimi härtester Gangart begeistert im Weiten Theater

  • Lucía Tirado
  • Lesedauer: 4 Min.

Träume sind so - verrückt, verzwickt, ungeheuerlich mitunter. Als Kriminalstück »härtester Gangart« bewies das »Der weiße Hammer« von Hans-Jochen Menzel im Weiten Theater. Es erlangte Kultstatus im Puppenspiel für Erwachsene. Immer wieder gewünscht und gespielt. Jedes Mal neu für die Zuschauer mit dem Staunen am Ende, dass nur zwei Künstler alles in Szene setzten. Irene Winter und Torsten Gesser führen das mit Meisterschaft fort in dem nun uraufgeführten Menzelschen Nachfolgestück »Heiße Wammer oder der V-V-Mann«.

Figuren aus dem »Hammer« tauchen auf. Natürlich ist es dienlich, sie zu kennen. Ebenso zu wissen, dass das Mädchen Therese am Ende des »Hammers« allein bleibt und erneut ins Träumen rutscht. Aber man kommt auch so gut rein.

Wieder triumphiert das schlecht organisierte Verbrechen. Niedertracht, Gier, Mord und Totschlag überholen sich gegenseitig. Dabei wollte der pensionierte Polizeipräsident Hagen - Gründer der antikriminellen Geheimorganisation »Weiße Hammer« - eigentlich seine Ruhe haben. Ziemlich weit oben untergetaucht ist er als frischer Penthouses-Besitzer. Undercover sozusagen. Keiner soll ihn finden. Alle Brücken brach Hagen ab und erfreut sich jetzt seiner voll automatisierten Behausung. »Windows open!« brüllt er, schon fliegen die Fensterflügel auf. Da guckt er raus zum Rhein.

Diese örtliche Bestimmung braucht es für die sagenhafte Geschichte mit vortrefflichem Wortwitz. Denn alle 500 Jahre öffne sich drei Tage vor der Schafskälte - also jetzt so um diese Zeit - der Boden der Behausung, um den Blick auf einen Schatz freizugeben, samt Schall und samt Rauch und knurrendem Bewachungsreptil. War hier nicht was mit den Nibelungen? Hagen wäre nicht Hagen, würde er sich nicht mit dem Tierchen sofort anfreunden.

Jedermann weiß, dass eine komplette elektronische Vernetzung die Entlarvung persönlichster Angelegenheiten mit sich bringen kann. Menzel schickt diesen Gedanken auf die Sprinterstrecke. Das gipfelt in den Vorschlägen, das W-Lan für das Haus zu »kappen« und zur Verwirrung jeglicher Spione alle dort wohnenden Leute mit dem selben Namen zu versehen: Wammer. Heiße Wammer. Denn die ehemalige Pathologin lumperte den Ex-Polizeichef auch schon über Facebook auf.

Das am superblanken Kühlschrank angebrachte elektronische Wohnungsgehirn sorgt nicht allein für Nachschub im gekühlten Innern oder dafür, dass sich Türen auf Zuruf oder der Eingang bei ungebetenen Besuchern mit gequält gekreischtem »Neiiiiiiiiiiiiin!« öffnen. Die elektronische Verbundenheit ruft auch den russischen Gangster Igor samt Gefolge auf den Plan. Den »Eh-isch-bin-äscht-gefährlisch«-Michael eingeschlossen, seinen dusseligen Fahrer, der auf Igors Zuruf aus dem Fenster »Motor aus und hoch!« den Motor die 17 Etagen hochschleppt und sich später auf dem vertropften Öl auf der Treppe ausrutschend den Hammer durchs Auge rammt. Oder Marlene mit dem kostbaren, nicht überhörbaren »Schrei« von Munch im Koffer.

Eine Vielzahl an Geräuschen erzeugen Winter und Gesser bei den Ereignissen. Das reicht von den sprechenden Türen über Schreie drinnen und draußen und den bei Abfahrt klackenden Fahrstuhl bis zu Höllenlärm mit Echo. Die von ihnen mit Verve geführten großen Puppen von Thomas Klemm sprechen in unterschiedlichsten Akzenten und Dialekten. Ergebnis ist ein 90-minütiges Vergnügen der bizarren Art mit verblüffendem Ende, versteht sich.

Alte, so viel sei gesagt, darf man nicht unterschätzen. Menzel trieb mit diesem Gedanken schon in anderen Stücken sein Spiel. In »Das letzte Hemd« beispielsweise, einem Stück, das unbedingt wieder auf den Spielplan gehört und den des Weiten Theaters schmücken könnte. Die Bühne feierte gerade ihren 20. Geburtstag und kann auf 87 Inszenierungen verweisen. Mit »Heiße Wammer« machte sie sich ein schönes Geschenk, mit dem sie zunächst andernorts Gastspiele geben. Vorher geht es an der häuslichen Bühne mit »Intercity« um üble Entgleisungen.

21.6., 21.30 Uhr: »Intercity«, Das Weite Theater, Parkaue 23, Lichtenberg, Tel.: 991 79 27, www.das-weite-theater.de

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