Späte Elfmeter
Die Ausstellung »Fußball für die Stasi« über die Verstrickungen von Dynamo Berlin
Der Ball ist nicht immer rund. Wie das einstmalige Ministerium für Staatssicherheit das Fußballgeschehen in der DDR-Oberliga beeinflusste und dazu neben den üblichen Repressionsmethoden gegen echte und vermeintliche Oppositionelle auch Funktionäre, Schiedsrichter und Spieler instrumentalisierte, zeigt die Ausstellung »Fußball für die Stasi« im Bildungszentrum des Bundesbeauftragten für die MfS-Unterlagen. Die Ausstellung gibt aber auch Hinweise darauf, dass der allmächtige Arm von MfS-Boss Erich Mielke und seiner Adlaten eben nicht ganz so allmächtig war, wie viele Zeitgenossen annahmen und manche - die DDR nur aus Aktensicht kennende - Experten noch heute meinen.
Unabweisbar ist für den Besucher der Ausstellung aber, dass die Sportvereinigung Dynamo ein Unternehmen des MfS war. 96 Prozent der fördernden Vereinsmitglieder gehörten der Staatssicherheit an. Das ist an sich ja nicht schlimm. Auch Geheimdienste dürfen Betriebssportgemeinschaften haben. Dass selbst in diesen Organisationen das Misstrauen weit verbreitet war, darf man als professionelle Deformation begreifen. Allein beim BFC Dynamo waren 10 offizielle MfS-Mitarbeiter, acht IMs und sieben OibE (Offizier im besonderen Einsatz) beschäftigt. Den Drang in den Westen von Spielern wie Lutz Eigendorf, Falko Götz oder Dirk Schlegel konnten freilich auch sie nicht unterbinden.
Die Beschattungsmaßnahmen gegen Eigendorf und Götz dann im Westen zeugen von einer durchdrehenden Verfolgungsmaschinerie - und dem Druck, der auf den Verfolgten lastete. Dass auch im Osten bis in die Wohnungen von Spielern vorgedrungen wurde, schilderte Ausstellungsmacherin Jutta Braun in einer Podiumsdiskussion am Mittwoch: »Das MfS tarnte sich als ein Vermessungsunternehmen, um in die Wohnung von Dixie Dörner zu gelangen. Die Männer zogen jedoch unverrichteter Dinge wieder ab, als sie im Wohnzimmer auf den erstaunt aus dem Schlaf erwachenden Großvater Dörners stießen«.
Erfolgreicher waren Mielkes Mannen bei der Schiedsrichterbeeinflussung. Braun stellte die Rolle des früheren FIFA-Schiedsrichters Heinz Einbeck heraus, der als Leiter der Schiedsrichter-Kommission die Unparteiischen zur einseitigen Parteinahme für den BFC angehalten habe. Das dürfte eine späte Bestätigung des volkstümlichen Wissens um späte Elfmeter für den BFC, gelbe und rote Karten für die Gegner darstellen. Pikant ist, dass die Historiker auch Belege für eine besondere Schiedsrichterbetreuung anderer Klubs, vor allem mittels wertvoller Geschenke, fanden. Die Rivalen des BFC wollten so diese Art von Ungerechtigkeiten ausgleichen. Mit Moggi-Methoden - der Juventus-Manager bestach ganz offen Referees - gegen Mielke-Methoden, könnte man schlussfolgern.
Den längeren Hebel hatte allerdings das MfS. »Es entschied darüber, wer Reisekader war und wer nicht«, machte Braun auf die letztlich wichtigste Einflussgröße aufmerksam. Das MfS beschäftigte sich aber auch mit Kleinigkeiten. Als ein Fernsehkommentator eine Schiedsrichterentscheidung kritisierte, ging umgehend die Anweisung heraus, dass DDR-Sportjournalisten solche Dinge nicht zu kommentieren hätten. Journalisten, hier noch kritisiert, arbeiteten allerdings auch mit dem MfS zusammen. Als Fortschritt Neustadt 1982 dank der Tore des Ex-Nationalspielers Peter Kotte in die zweite Liga aufstieg, wurde Kottes Kopf vom Mannschaftsfoto eliminiert. Er war wegen angeblicher Mitwisserschaft bei einer geplanten Republikflucht mit lebenslangem Spielverbot in Oberliga und Liga belegt worden. Erst 1990 wurde Kotte rehabilitiert.
Bizarrerweise wurde das MfS auch als Beschwerdekanal benutzt. Ein IM beim BFC beklagte etwa, dass Rasenplätze fehlten und die Bälle nicht vollwertig seien. Ob diese Intervention erfolgreich war, wird in der Ausstellung leider nicht deutlich. Definitiv härtere Auswirkungen hatte es, wenn sich das MfS mit Fanclubs beschäftigte. »Eindringen« und »zersetzen« lauten hier die einschlägigen Vokabeln. Über einzelne Fananführer wurden diskreditierende Gerüchte in Umlauf gebracht, andere in den Westen abgeschoben. Auch der DDR-Bürger als Fußballfan war dem MfS potenziell verdächtig.
Die Ausstellung bietet einen Anhaltspunkt für die feinmaschigen Repressionsmechanismen im Sport. Sie wird freilich auch zum Zeugen von deren Erfolglosigkeit. So war die Mannschaft des BFC Dynamo trotz unbestrittener sportlicher Stärke in den 80er Jahren niemals ein respektierter Meister. Und auf internationaler Bühne spielte allenfalls der Nachwuchsfußball (U18-Europameister 1986, U20-WM-Dritter 1987) eine Rolle - mit jungen Sportlern also, die selbst noch nicht oft schmerzhafte Erfahrungen mit den Beschränkungen der damaligen Gesellschaft gemacht hatten.
Bis 31.8., Zimmerstr 90. Mo.-Fr. 10-18 Uhr
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