Hausbesuche zum Wohl des Kindes

Senat und Charité zogen positive Bilanz zur Zentralen Stelle für Vorsorgeuntersuchungen

  • Nissrine Messaoudi
  • Lesedauer: 4 Min.

Da ist man gerade erst zwei Monate alt und wird schon gepiekst. Impfungen wie Tetanus oder Diphtherie gehören unter anderem zu den wichtigen Vorsorgeuntersuchungen, die ein Kind von der Geburt bis zum sechsten Lebensjahr begleiten. In der Regel kommen Eltern den Untersuchungen U 1 bis U 9 nach, denn ihr Kind kann von den Tests zur geistigen- und körperlichen Entwicklung profitieren.

Für diejenigen, die die Untersuchungen versäumen, gibt es seit zwei Jahren die Zentrale Stelle an der Berliner Charité. Seit Juni 2010 melden Kinderärzte hier, welche Knirpse nicht an der Früherkennungsuntersuchung teilgenommen haben. Die Eltern dieser Kinder werden nach Abgleich mit den Daten des Berliner Melderegisters angeschrieben und eingeladen ihr Versäumnis nachzuholen. Wenn die Eltern ihren Sprössling erneut nicht zum Arzt bringen, informiert die Zentrale Stelle den Kinder- und Jugendgesundheitsdienst (KJGD) des Bezirkes. Zwei Mitarbeiter besuchen dann die Familie und beraten sie, falls nötig. Im Verdachtsfall wird auch das Jugendamt eingeschaltet.

Jugendsenatorin Sandra Scheeres (SPD) und Gesundheitssenator Mario Czaja (CDU) zogen gestern zusammen mit dem Leiter der Zentralen Stelle, Oliver Blankenstein, eine positive Bilanz. »Dieses Projekt ist bundesweit einzigartig«, betonte Scheeres. Die Stelle wurde 2010 im Rahmen des Berliner Kinderschutzgesetzes und des Netzwerks Kinderschutz geschaffen. Mit dem Ausbau der Hotline-Kinderschutz, mit Familienhebammen und der Finanzierung von Familienzentren seinen zusätzlich wichtige Schritte zum Schutz von Kindern und Jugendlichen getan worden, so Scheeres. Kritik, Eltern würden durch die Arbeit der Zentralen Stelle bevormundet, wies die Senatorin zurück. »Wir wollen niemanden bevormunden, sondern den Eltern helfend zur Seite stehen.«

Immerhin nahmen über 12 Prozent der an die Gesundheitsdienste gemeldeten Fälle zusätzliche Beratungen in Anspruch. »Gerade diese Familien konnten erst durch das Einladen erreicht werden«, sagte Blankenstein. »Außerdem wurde die Teilnahme an den Vorsorgeuntersuchungen gesteigert«, sagte der Leiter der Stelle. Insgesamt gingen in den letzten zwei Jahren rund 300 000 Rückmeldungen über die Untersuchungen durch die Kinderärzte bei der Zentralen Stelle ein. Über 141 000 Einladungsbriefe wurden verschickt und knapp 70 000 Meldungen an den KJGD getätigt. In neun Fällen wurde eine »Kindeswohlgefährdung« festgestellt, so dass das Jugendamt eingeschaltet wurde. Der Gesundheitssenator lobte die Zusammenarbeit der verschiedenen Einrichtungen, gab jedoch zu, dass Verbesserungen nötig seien. »Die Kommunikation zwischen den Gesundheits- und Jugendämtern muss verbessert werden«, so Czaja.

Doch die Zusammenarbeit sowie die zusätzliche Belastung ist von Bezirk zu Bezirk verschieden. So wurden die meisten Briefe in den Bezirken Pankow, Neukölln und Mitte verschickt. Zu Hausbesuchen kam es vor allem in Neukölln, dicht gefolgt von Mitte und Lichtenberg. »Hier müssen wir über weitere Personalstellen und finanzielle Umschichtungen nachdenken«, betonte der Senator. Die erste Korrektur betreffe jedoch das Jugendamt. Da der Mehraufwand des Amtes vergleichsweise gering sei, werden 90 Prozent der Gelder nun an die Gesundheitsdienste fließen.

Insgesamt beteiligt sich der Bund mit 1,5 Millionen Euro an präventiven Hilfsmaßnahmen. Die Zentrale Stelle kostet jährlich rund 300 000 Euro und wird aus Landesmitteln finanziert. Die zusätzlichen Personalkosten belaufen sich auf eine Million Euro.

Die Sorge der Ärzte, durch die Rückmeldungen zusätzlich belastet zu werden, habe sich nicht bewahrheitet. »Meist faxen uns die Ärzte den Schein am gleichen Tag«, weiß Oliver Blankenstein. Zufrieden sind die Kinderärzte jedoch nicht. Erst am Freitag beschwerten sich die Mediziner auf ihrem Jahreskongress über die »veralteten Vorsorgeuntersuchungen«. Bewegungsdefizite und Sprachstörungen nehmen laut Kongress zu. Beratungen zur Ernährung übernehme die Krankenkasse aber selten, so die Kritik. Die Dekanin der Charité, Annette Grüters-Kieslich bestätigte den Vorwurf. »Die Untersuchungen sind seit 30 Jahren nicht mehr erneuert worden. Einige Krankheiten gibt es nicht mehr, andere sind dazu gekommen.« Als Kinderärztin kämpfe sie in einem Gremium seit zehn Jahren für eine Erneuerung. Die sei zum Teil erfolgt - Beispielsweise wurden die Untersuchungen erweitert. Doch weitere Verbesserungen seien nötig.

Freuen dürfen sich Eltern schon einmal auf ein neues Vorsorge-Heft. Das gelbe sei nicht mehr zeitgemäß, so die Ärzte. Bis Ende des Jahres soll es eingeführt werden.

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