Glückauf zur letzten Schicht!
Mit dem Bergwerk Saar macht am Sonnabend die letzte Kohleförderstätte im Saarland dicht
Wolfgang Nauerz hockt am Rande des Kohlenstrebs. Neben ihm der mächtige Kohlehobel, davor die Versorgungsleitungen und das Förderband, das die pechschwarze, glitzernde Steinkohle abtransportiert. Über ihm schimmern die stählernen Schilde, die die Decke des Strebs stützen, in dem gearbeitet wird. Am Vortag wurden 6299 Tonnen Kohle aus dem Berg geschält, gerade hat der Hobel aber Pause. »Wartungsarbeiten«, erklärt Nauerz schulterzuckend und wirft einen prüfenden Blick auf dicke Kabel, die an der Seite des schmalen Stollens verlaufen, in dem er arbeitet.
Streb 8.7 Ost heißt sein Arbeitsplatz im Bergwerk Saar und der Hobel macht nahezu alles vollautomatisch. Computergesteuert rast er in hundert Sekunden den 350 Meter langen Streb entlang - gezogen von schweren Ketten. Bei jedem Durchlauf reißt der schwere, mit zahlreichen Meißeln versehene Metallrammbock exakt fünfzig Millimeter Kohle aus der Wand. Die ist nur rund 1,60 Meter hoch und damit deutlich niedriger als im Saarland üblich. Deshalb kommt zum Ende der Kohleförderung an der Saar der Hobel zum Einsatz.
»Normalerweise haben wir in Streben mit größerer Mächtigkeit gearbeitet«, erklärt Reviersteiger Dieter Gebauer und hockt sich auf den mit Kohlenstaub bedeckten Boden im Streb. Drei Meter und dicker waren die Kohleschichten, in denen der 57-Jährige geschuftet hat. Dort kam der Walzenschrämlader zum Einsatz, der die Kohle dank einer mit Meißeln bewehrten Walze aus dem Berg schneidet.
Derart reiche Flöze sind typisch für das Saarland, sie prägten das kleine Bundesland im Südwesten Deutschlands. »Bis heute«, sagt Nauerz bitter. Er ist alles andere als einverstanden mit dem Ende der Förderung am 30. Juni. »Mein Vater war Bergmann, mein Großvater ebenfalls und wo sollen unsere Kinder nun hin? Wir machen Schluss, obwohl noch Kohle da ist. Das ist doch bekloppt«, schimpft der 48-jährige. Für ihn ist nach dem Ausbau aller noch verwertbaren Anlagen, dem Säubern der Strecken von Hydraulikflüssigkeiten, Fett und Chemikalien voraussichtlich zum Jahresende Schluss. Was bleibt, ist die Frühverrentung oder der Wechsel in ein Bergwerk nach Nordrhein-Westfalen. 1400 Kumpel aus dem Saarland werden insgesamt umsiedeln, um im Ruhrgebiet noch ein paar Jahre für die RAG, ehemals Ruhrkohle AG, unter Tage zu schuften, Eine wirkliche Perspektive eröffnet der Wechsel aber nicht, denn 2018 endet auch dort der Bergbau.
Die Kohle aus deutschen Bergwerken ist auf dem Weltmarkt schon lange nicht mehr konkurrenzfähig: Für ein Drittel der Produktionskosten bieten Kolumbien oder Australien ihre Abbauprodukte an, denn dort wird im offenen Tagebau an der Oberfläche gefördert - nicht wie in Deutschland in extremen Tiefen. 1750,6 Meter geht es im Nordschacht des Bergwerks Saar hinab. Durch den sind Gebauer, Nauerz und all die anderen Kumpel im Förderkorb abwärts bis zur Sohle 20 gefahren. Die liegt auf 1275 Meter und hier - ein paar Kilometer vom Schacht entfernt - befindet sich auch Streb 8.7 Ost, wo am 29. Juni die letzten Tonnen Saarkohle gefördert werden.
Dorthin gelangen die Kumpel mit einer Schienenflurbahn. Die verkehrt auf etlichen Kilometern unter der Erde, insgesamt erstreckt sich das weit verzweigte Tunnelsystem auf 64 Kilometer - es waren auch schon mal mehr. Überraschend für den Laien ist auch die beachtliche Deckenhöhe von über fünf Metern in den Tunneln. An deren Wänden verlaufen Kabeltrassen, Rohre und Versorgungsleitungen für Druckluft, Strom, Telefon, Wasser und Co. »Alles was es oben gibt, gibt es auch unter Tage«, erklärt Steiger Gebauer. Auch Besprechungsräume und Computerterminals, aber das wichtigste für die Kumpel ist Luft: »24 000 Kubikmeter Frischluft pro Stunde sorgen dafür, dass wir ordentliches Wetter unter Tage haben«, so der Bergmann. Das war auch die Grundlage, um sich immer weiter in die Tiefe zu bohren und zu schneiden.
Dort lagern immer noch etliche Millionen Tonnen der tiefschwarzen Saarkohle und niemand wird sie wohl jemals fördern. »Der Abbau jenseits der 1500 Meter hat letztlich wohl das Aus des Bergbaus im Saarland nach sich gezogen«, sagt Markscheider Volker Hagelstein. Der Vermessungsingenieur ist für die exakte Angabe der Fundstätten und alle Fragen und Probleme des Abbaus im Bergwerk Saar verantwortlich.
»Die Erschütterungen beim Abbau in der Tiefe haben Spannungen in der Sandsteinschicht weiter oben hervorgerufen« erklärt er die direkten Abbaufolgen. Die wurden ab 2004 immer spürbarer - ähnlich wie bei einem Erdbeben schwang der Untergrund. Und als am 23. Februar 2008 die Erschütterungen eine Stärke von 4,0 auf der Richterskala erreichten, begann eine heftige Debatte über die Risiken des Bergbaus. Häuser waren ins Wanken gekommen, Ornamentsteine von der Kirche im benachbarten Saarwellingen stürzten herab und die Regierung in Saarbücken verordnete schließlich einen Förderstopp. Am Ende der Diskussion stand die Entscheidung, den Kohlebergbau sozialverträglich über einen Zeitraum von vier Jahren bis 2012 ausklingen zu lassen.
Eine historische Zäsur, denn die Kohle hat aus dem Saarland erst eine echte Region gemacht. Um das schwarze Gold dreht sich seit 250 Jahren alles an der Saar. Der Beginn der systematischen Förderung datiert aus dem Jahr 1751. »Da verstaatlichte Fürst Wilhelm Heinrich zu Nassau-Saarbrücken sämtliche Gruben und förderte deren Ausbau«, erklärt Hagelstein. Generationen haben von der Kohle gelebt, Vater und Sohn schufteten oftmals in derselben Grube und ganze Dörfer definierten sich durch die Kohle. »Schlägel und Eisen« finden sich an so manchem Dorfkrug der Region und ein »Glück Auf« ist auch an dem prächtigen Bau von Martin Gropius zu lesen, in dem einst die Bergwerksdirektion Saarbrücken residierte. Heute ist eine Einkaufspassage dort untergebracht.
Sechs Bergwerke waren noch im Einsatz, als Volker Hagelstein 1976 seine erste Grubenfahrt unternahm. 1985 schufteten noch 24 500 Kumpel unter Tage und förderten 10,7 Millionen Tonnen Steinkohle aus der Tiefe. Seitdem ist die Quote auf eine Million Tonnen im Jahr 2011 zusammengeschmolzen. »Nun sind gerade noch ein paar Dutzend Meter Streb übrig, dann ist Schluss«, erklärt Steiger Gebauer. Mit seinen 57 Jahren hat er die Pensionsgrenze erreicht und muss sich keine großen Gedanken um das Danach machen. »Aber meinen Sie, die Kumpel mit 48, 49 oder 50 Jahren haben Lust, zu Hause rumzuhängen?«, fragt er und winkt gleich ab.
Die fehlenden Perspektiven machen den Leuten zu schaffen - sozialverträgliches Ende hin oder her. »1329 Beschäftigte statt ehemals 4000 sind es derzeit noch, die täglich um die 5000 Tonnen Steinkohle zu Tage fördern«, erklärt Gebauer und krabbelt aus dem Streb von Bergmann Nauerz heraus. Der ist schon wieder dabei, Leitungen zu kontrollieren und einzufetten, denn Sicherheit unter Tage wird groß geschrieben. Fettschichten auf Rohren, Wassersperren und feuchte Salzpaste sollen den leicht entzündlichen Kohlenstaub binden, denn negative Schlagzeilen zum Ende des Bergbaus an der Saar kann hier niemand gebrauchen. Der Abschied ist schon schwer genug.
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