Viele Facetten des Versagens

NSU-Untersuchungsausschuss: BKA-Chef empfahl sich für die eilige Pensionierung

  • René Heilig
  • Lesedauer: 3 Min.
Wie hätte man den NSU-Terrornazis auf die Spur kommen sollen, wenn doch nicht einmal deren engste Unterstützer etwas von den Morden wussten? Das hat Deutschlands oberster Polizist, BKA-Chef Jörg Zierke, ernsthaft vor dem NSU-Ausschuss gefragt: Zugleich gab er kund, mit »der Organisation der Fahndungsarbeit zufrieden« gewesen zu sein.

So ein Abgang! Zuhörer des Trauerspiels, das BKA-Chef Jörg Zierke gestern im sogenannten NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages aufführte, griffen sich an die Stirn. Zierke hat 43 Jahre Berufserfahrung als Polizist, die Verabschiedung in den Ruhestand ist nah - und seit gestern dringend! Gestern aber hätte er seinem Nachfolger noch einiges mitgeben können, das unsere Demokratie wehrhafter macht.

Zeuge Zierke sollte den Bundestagsabgeordneten helfen, das Ermittlungsknäuel zu entwirren, in dem sich Fahnder aus Bund und Ländern gefangen haben, als sie versuchten, die Mordserie der - wie man heute weiß - »Zwickauer Zelle« aufzuklären. Acht türkische, ein griechischer Staatsbürger und eine Polizistin sind den Mördern des sogenannten Nationalsozialistischen Untergrundes (NSU) in den Jahren zwischen 2000 und 2007 zum Opfer gefallen. Dazu verübte die rechtsextreme Bande mindestens 14 Banküberfälle sowie zwei Bombenanschläge in Köln. Erst im November 2011 wurde dem Trio, bestehend aus Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe, das Handwerk gelegt. Mehr oder weniger zufällig.

Der Polizeichef bedauerte, dass die Sicherheitsbehörden ihrem Schutzauftrag nicht nachgekommen seien. Ja, es habe Fehler gegeben, doch genauer benennen wollte er die nicht. »Das Versagen hat viele Facetten.« Im Grundsatz verteidigte er das Vorgehen der Ermittler bei der Neonazi-Mordserie. Und sein Amt habe schon gar keine Fehler gemacht, denn man habe den Rechtsextremismus immer ernst genommen.

Das ist so weit von der Wahrheit entfernt wie die Erde von der Sonne. Man hat Arbeitsgruppen zum Rechtsextremismus abgeschafft, die Kameradschaftsdatei gelöscht und war Monat für Monat dabei, die Fallzahlen rechtsextremistischer Straftaten runter zu rechnen. Dass sich Zierke damit schmückt, die NS-Herkunft des BKA erhellt zu haben und daher auch ein gutes Verhältnis zu dem Publizisten Ralph Giordano und zum Chef des Zentralrats der Sinti und Roma, Romani Rose, zu haben, macht's irgendwie glitschig.

Zur konkreten Fahndungsarbeit meinte Zierke, es habe einfach keinen - wie man im Polizeijargon sagt - »Anfasser« gegeben, der erfolgreiche Ermittlungen in Richtung rechtsextremistische Täterschaft ermöglicht hätte. Warum übernahm dann das dafür gebildete und ausgestattete BKA nicht die Leitung der Ermittlungen? Niemand habe das BKA formal beauftragt, alles an sich zu ziehen. Polizeiarbeit sei Ländersache und Föderalismus verlange nun einmal, Kompromisse zu schließen. Darin bestehe sein täglicher Job.

Keinen »Anfasser«? Nicht einen, viele gab es. Aber vieles deutet darauf hin, dass Zierkes BKA einfach davon ausging, dass nicht sein darf, was nicht sein soll. Schließlich hatte der damalige Innenminister Otto Schily (SPD) - gebrieft vom BKA - schon einen Tag nach dem NSU-Nagelbombenanschlag 2001 gegen Ausländer in Köln einen rechtsextremistischen Hintergrund ausgeschlossen. Und Nachfolger Wolfgang Schäuble (CDU) sah auch keine rechte Terrorgefahr.

Vor dem Hintergrund mutet es nicht glaubwürdig an, wenn Zierke versichert, er habe auch bei den wöchentlichen Gesprächen im Kanzleramt den möglichen rechtsextremistischen Hintergrund angesprochen. Mehrfach. Weder das noch das Gegenteil lässt sich beweisen. Bei den Geheimdienstrunden wird nicht Protokoll geschrieben. Da gibt es also auch nichts zum Vernichten.

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