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Überraschungsgast
Die Tour de France hat ihren ersten Helden. Dabei handelt es sich nicht um einen Mann im hautengen Renndress, sondern einen mit Fliege. Ein charmanter älterer Herr mit einem Lachen fast so breit wie der Querbinder unter seinem Kinn streifte zum Auftakt der Tour de France durchs Fahrerlager. Er begrüßte hier einen Rennstallpatron, dort einen Mechaniker und schlängelte sich dabei geschickt an den zum Warmfahren für das Auftaktzeitfahren aufgebockten Rennmaschinen vorbei. Im Gefolge hatte er stets den Direktor der Tour de France, Christian Prudhomme.
Der Ehrengast wirkte bei seinem Tourbesuch wie ein altgedienter Entertainer, der der Rundfahrt als der Mutter der Sportunterhaltung eine Fachvisite abstattet. Überaus herzlich wurde er vom belgischen Publikum empfangen. Applaus brauste auf. Die Rufe »Elio - gelbes Trikot, |Elio, rauf aufs Fahrrad« ertönten.
Der so Gefeierte erwies sich als Elio Di Rupo, belgischer Ministerpräsident. Verblüffung machte sich bei dieser Nachricht in den Gesichtern der internationalen Journalistenschar breit. Weder Franzosen noch
Italiener noch Briten und auch keine deutschen Kollegen konnten sich derart spontane und herzliche Zuneigung für den Regierungsvertreter des eigenen Landes vorstellen.
Die Erklärung folgte aber auf dem Fuße. Di Rupo ist nicht nur der erste offen homosexuelle Ministerpräsident eines EU-Landes, der wegen seines Coming Outs als authentisch wahrgenommen wird. Er beendete zugleich die 589 Tage andauernde Regierungskrise. Die vorausgegangenen anderthalb Jahre ohne eine Regierung haben bei den Belgiern offenbar eine tiefe Sehnsucht nach einer solchen hervorgebracht. Möglicherweise liegt in einem solchen längerfristigen Führungsvakuum gar die Rettung der parlamentarischen Demokratie! Anderthalb Jahre lang nur Staubwischen im Kanzleramt - und vielleicht erledigt sich bei derartiger Ignoranz die Finanzkrise gleich mit?
Als Di Rupo zu guter Letzt noch die Siegertribüne betrat, auf der Fabian Cancellara das erste Gelbe Trikot dieser Tour de France überreicht wurde, schoss der Gedanke hoch: Schade, dass dies nicht der Giro d'Italia ist. Denn dann hätte der erste offen schwule Regierungschef Europas (nach der offen lesbischen Ministerpräsidentin Islands, Jóhanna Sigurðardóttir) der Verleihung eines rosafarbenen Trikots beigewohnt. Giro-Direktor Michele Acquarone war immerhin auch in Lüttich.
Vielleicht tut sich da ja etwas noch vor der nächsten, aber sicher kommenden Regierungskrise.
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