Langer Weg zurück
London 2012 - Teil eins der »nd«-Serie: Tauziehen will wieder olympisch werden, doch es fehlt die Popularität
32 Hände heben ein Seil an, es wird auf Spannung gebracht und 16 linke Stiefel mit Eisenbeschlägen rammen sich in den Boden. »Fertig.« »Pull.« 16 rechte Stiefel stemmen sich nun auch gegen die Kraft der Gegenüber und 16 Körper fliegen nach hinten. Das ist Tauziehen. Jeder hat es schon mal gemacht. Aber olympisch? Ja, das war Tauziehen einmal, auch wenn es schon lange her ist. 1900 ging es los in Paris, nach den Spielen 1920 in Antwerpen war es wieder vorbei. Seitdem kämpfen die starken Männer - und mittlerweile auch starke Frauen - darum zurückzukehren.
»Unsere Verbände probieren alles. Sie sprechen mit dem IOC, versuchen, den Sport in anderen Ländern populär zu machen, aber es ist nicht leicht«, sagt Andreas Berl, Bundestrainer der deutschen Männer-Nationalmannschaft.
Berl kommt wie sein Fußballkollege Joachim Löw aus dem Badischen und hat den selben Zungenschlag. Berls Problem ist aber, dass auch seine »Nationalzieher« fast ausnahmslos aus dieser Gegend kommen. Es gibt zwar eine Bundesliga, doch sieben der acht Vereine gehören dem Landesverband Südbaden an. Der achte aus Nordbaden. »Leider gibt es im Norden und Osten Deutschlands kaum Vereine«, sagt Berl. Ich kann genauso wenig erklären, warum es in unserer Gegend so viele gibt.« Wenn die Verbreitung in Deutschland schon nicht klappt, wie soll es weltweit funktionieren? Die führenden Nationen sind Niederlande, Irland, Schweiz, England, Schweden und Deutschland. Europa dominiert. »Die Amerikaner können uns mal ärgern«, sagt Berl. Mehr aber auch nicht.
Eine erfolgreichere Vermarktung ist schwer ohne mediale Unterstützung. Eine fernsehtaugliche Darstellung sei nicht leicht - sagt das Fernsehen. Dabei ist der Sport einfach. Ein langes Seil mit roten Mittelmarkierung, die zwei Mannschaften um vier Meter nach links oder rechts bewegen müssen. Keine schnellen Bewegungen, die dem menschlichen Auge wie etwa beim Volleyball oder Eishockey verborgen bleiben, keine unverständlichen Fachbegriffe wie Auerbachsalto oder Waza-ari. Und Abseits gibt es auch nicht. Die Regeln sind simpel: Der Hintern darf nicht den Boden berühren, Umgreifen der harzbeschmierten Hände ist verboten, und alle müssen in der ein Meter breiten Bahn bleiben. Ansonsten zählen Geschick, etwas Taktik und viel Kraft.
Vielleicht liegt es aber auch daran, dass so ein »Zug« bei tiefem Boden schon mal acht Minuten andauern kann, wenn gute Teams erst einmal defensiv abwarten. »Das längste Match dauerte mal 55 Minuten«, erzählt Berl. Danach hätten die Regelhüter eingesehen, dass ein Limit her muss, das mittlerweile bei zehn Minuten festgelegt ist. Wenn dann nichts passiert, wird abgebrochen. »Danach geht es auf festerem Boden weiter, und es fällt auch eine Entscheidung«, beruhigt Berl.
Ohne die Rückkehr in den Schoß der olympischen Familie bleiben die World Games der Höhepunkt der Tauzieher, deren Sport im Englischen etwas martialisch »Tug of War« heißt. Für die nächsten Spiele im kommenden Jahr im kolumbianischen Cali wollen sich Berls Athleten im September bei der WM in Appenzell in der Schweiz qualifizieren. Ein Wettbewerb, auf den sich der Bundestrainer sehr freut. »Das wird nicht auf irgendeiner Wiese stattfinden«, ist er sicher, da der Sport bei den Eidgenossen sehr populär ist. »Da werden viele Zuschauer erwartet, für die neue Tribünen aufgebaut werden. Das wird für meine Mannschaft ein tolles Gefühl, in so eine Arena einzumarschieren.«
Sollte es mit Kolumbien klappen, hofft Berl auf eine Wiederholung der Silbermedaille von 2009, doch das werde mit seiner neu formierten Mannschaft sehr schwer. Ein Spektakel wird es in jedem Fall. Wie stand noch im »nd«-Bericht der World Games 2005 in Duisburg über den Publikumsmagneten Tauziehen: »1200 Zuschauer waren im Sportpark dabei. Vor den Toren drängelten die Neugierigen, die keine Karten mehr bekommen hatten. Mancher erkletterte einen Baum, um einen Blick zu erhaschen.« Man stelle sich diese Szenerie bei Olympischen Spielen vor.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.