Wenn Mieten unbezahlbar werden
Experten diskutierten beim nd-Pressefest die Situation auf dem Berliner Wohnungsmarkt
nd: Müssen wir uns Sorgen machen, dass es für den Normalmieter bald keine bezahlbare Wohnung mehr gibt?
Wild: Die Sorgen haben leider schon viele Haushalte. 85 Prozent der Berliner wohnen zur Miete. Und die meisten von ihnen haben in den letzten Jahren eine erhebliche Mehrbelastung für das Wohnen auf sich nehmen müssen, während das Einkommen nicht in adäquater Weise gestiegen ist. Für viele ist das so eng, dass sie sich tatsächlich die Miete vom Mund absparen müssen. In anderen Großstädten gibt es eine ähnliche Entwicklung. Was wir brauchen ist ein Mietrecht, das diesen dynamischen Märkten angepasst ist. Deswegen setzen wir uns dafür ein, dass die Mietsteigerungsmöglichkeiten bei bestehenden Mietverhältnissen reduziert werden. Und bei neuen Mietverträgen muss es endlich eine Kappung geben, damit der, der umzieht, nicht mehr so drastisch belastet wird.
Aber es heißt doch immer: Ihr Berliner könnt noch froh sein, in München, Hamburg, Frankfurt werden ganz andere Mieten gezahlt?
Wild: Das Problem ist, dass die Einkommensstruktur in Berlin eine andere ist. Deswegen ist der Maßstab nicht die Miethöhe, sondern die Mietbelastung. Die liegt in Berlin inzwischen bei 28 Prozent, ebenso hoch wie in Hamburg. Sie ist zwar niedriger als in München, aber 30 Prozent Mietbelastung ist bei einem Einkommen von 3000 Euro etwas ganz anderes als bei 1500 Euro. Weil einfach zum Leben weniger bleibt.
Herr Müller, das klingt, als müssten Sie sofort aktiv werden. Sie haben die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften ja schon zurückgepfiffen, als sie die Mieten erhöhen wollten. Dafür planen sie, mit ihnen ein »Bündnis für bezahlbare Mieten« zu schließen. Aber so richtig was erreicht haben Sie noch nicht.
Müller: Die Wohnungs- und Mietenpolitik ist eben auch ein langwieriges Geschäft. Und es sind auch gesetzliche Voraussetzungen nötig, die man verändern muss, meist sogar auf Bundesebene. Aber auch auf Berliner Ebene müssen ein paar Dinge gemacht werden. Es gibt aber nicht diesen einen Königsweg, sondern man muss mehrere Dinge parallel angehen.
Das »Bündnis für soziale Mieten« werden wir in nächster Zeit abschließen können. Ich bereite zudem eine Zweckentfremdungsverbotsverordnung vor, weil wir den Wohnraum für die Mieter brauchen und nicht für Feriengäste. Bis Ende des Jahres wird es dazu ein Gesetz und eine Verordnung geben, die die Gebiete, in denen das Verbot gelten soll, festlegt. Wir haben als Drittes einen kleinen Fonds bei der Investitionsbank Berlin aufgelegt, um genossenschaftliches Wohnen zu fördern. Wenn Genossenschaften Wohnungen bauen, wollen wir das auch finanziell unterstützen, damit die Miete tragbar ist. Wir brauchen dringend Wohnungsneubau. Die Wohnungsbaugesellschaften, aber auch private Investoren sollen zusätzlich bauen ...
Mit Mieten, die dann kaum unter zehn Euro pro Quadratmeter liegen würden ...
Müller: Und für den Normalbürger kaum bezahlbar wären, ich weiß. Deshalb schauen wir uns an, wie München das macht. Wenn dort Private auf interessanten Innenstadtgrundstücken bauen, wird mit ihnen eine Sozialquote vereinbart. Bei 70 Prozent der Wohnungen können sie die Miete nehmen, die sie brauchen, bei 30 Prozent der Wohnungen müssen es Sozialmieten sein. Gegebenenfalls werden wir das bei uns übernehmen.
Wie lange werden Sie die Wohnungsbaugesellschaften noch bremsen können, die Mieten zu erhöhen?
Müller: Die geplanten Mieterhöhungen sind ja nun schon über ein halbes Jahr ausgesetzt. Wenn unser Mietenbündnis unterschrieben ist, dann haben die Gesellschaften eine neue Vertragsgrundlage. Sie werden dann sicherlich in den nächsten Monaten auch die nächsten Mieterhöhungen aussprechen. Aber das Besondere ist, dass wir erstmals eine Belastungsgrenze formuliert haben: Wenn 30 Prozent des Haushaltsnettoeinkommens mit der nächsten Mieterhöhung überschritten würden, dann können die Mieter mit ihrer Gesellschaft sprechen, so dass die Mieterhöhung entweder ganz zurückgenommen wird oder teilweise. Das ist auch ein Weg zur Dämpfung des Mietanstiegs in Berlin. Natürlich verwalten die städtischen Gesellschaften nur rund 15 Prozent der Wohnungen in der Stadt.
Macht Rot-Schwarz jetzt, was Rot-Rot nicht geschafft hat, Frau Lompscher?
Lompscher: Es ist schon ein bisschen bitter, dass eine wohnungspolitische Offensive des Senats jetzt möglich ist und in den Jahren davor war sie es nicht. Wir haben damals heftig mit der SPD gestritten, denn spätestens seit 2008 gibt es zunehmenden Wohnungsmangel in Berlin. Und wo in diesem Wirtschaftssystem der Mangel groß ist, regeln sich die Dinge über den Preis. Unter Rot-Rot hat es diverse Anläufe gegeben für eine aktivere Mietenpolitik. Die war leider nicht möglich. Deshalb betrachte ich es jetzt mit einer gewissen Skepsis, was denn den vielen Ankündigungen folgen wird.
Weil, wie die LINKE kritisiert, diese Ankündigungen im gerade beschlossenen Doppelhaushalt finanziell nicht untersetzt sind?
Lompscher: Wenn, wie der Senator sagt, Investoren 30 Prozent Sozialwohnungen bauen, heißt dies, dass 70 Prozent frei finanziert werden - mit deutlich teureren Mieten als derzeit im Neubau. Diese würden voll in die nächsten Mietspiegel einfließen, es käme zu einem breiten Mietanstieg. Man muss also überlegen, wie man die Schaffung preiswerten Wohnraums noch anders unterstützt. Deshalb fordern wir, ein Sondervermögen zu schaffen für soziale Wohnraumförderung, nicht zu verwechseln mit dem sozialen Wohnungsbau alter Westberliner Prägung. Wir müssen Geld in die Hand nehmen, damit die Mieten in Berlin bezahlbar bleiben. Ähnlich beim Verbot der Zweckentfremdung: Notwendig ist, dass wir es nicht nur wie angekündigt für einige Innenstadtteile bekommen, sondern weitflächig in Berlin. Damit das Zweckentfremdungsverbot überhaupt wirkt, brauchen wir natürlich Behörden, die in der Lage sind, eine solche Verordnung auch zu vollziehen. Da habe ich eine gewisse Sorge, ob die Personalausstattung in den Bezirken ausreichen wird.
Eine weitere Möglichkeit, den Mietanstieg zu begrenzen ist, die Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen wie in Hamburg genehmigungspflichtig zu machen. Denn Umwandlung in Eigentum führt immer zum Druck auf die Mieter, auszuziehen oder höhere Mieten zu akzeptieren.
Herr Rehberg als Vertreter der Vermieterseite: Kann es sein, dass Sie hier als einziger in der Runde nichts gegen steigende Mieten haben?
Rehberg: Das wäre ein völlig falsches Bild. Wir haben als Verband in der Tradition der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft - der Verband ist 115 Jahre alt - immer genau die Unternehmen als Mitglieder gehabt, die dazu beigetragen haben, Wohnungsnot zu beseitigen. Aber dazu braucht es Steuerungsmöglichkeiten.
Dass nun auch die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung tatsächlich begreift, dass wir eine andere Situation haben als noch in den 90er Jahren, ist ein Fortschritt. Wir haben schon vor Jahren darauf hingewiesen, dass der Leerstand abnimmt, die Haushaltszahlen steigen, aber nicht mehr neu gebaut wird. Wir brauchen jedes Jahr 10 000 neue Wohnungen, damit das Versorgungsproblem gelöst werden kann.
Ich bin sicher, wenn man heute zu einer guten Wohnungsverwaltung geht, kann man immer noch eine Wohnung bekommen. Natürlich nicht immer dort, wo man gerne hin will. Aber wir haben ein großes Problem: eine ganze Reihe Benachteiligte hat keine Chance, eine Wohnung zu bekommen. Sie brauchen entsprechende Unterstützung.
GSW-Mieter am Kottbusser Tor in Kreuzberg protestieren gerade gegen steigende Sozialmieten. Die GSW ist doch BBU-Mitglied, können Sie da nichts tun?
Rehberg: Das ist eben das große Problem: Wir sind nicht der Eigentümer der Unternehmen.
Eigentümer war mal das Land Berlin, dann wurde die GSW von Rot-Rot privatisiert. Haben Sie ein schlechtes Gewissen, Frau Lompscher, Herr Müller?
Lompscher: Der Verkauf der GSW ist eine große Last für eine glaubwürdige Wohnungspolitik. Lehre und Konsens in der Stadt daraus ist aber: Privatisierungen von Wohnungsgesellschaften wird es nicht mehr geben. Aber dass sich die GSW jetzt Gesprächen mit Abgeordneten über den sozialen Wohnungsbau am Kottbusser Tor verweigert, Gesprächen mit ihren Mietern sowieso, ist ein Skandal. Die Probleme zeigen aber, dass wir dringend ein Konzept für die Mietenentwicklung im sozialen Wohnungsbau brauchen. Jetzt gibt es die absurde Situation, dass die Mieten dort schon jenseits des Mietspiegels sind.
Wild: Ich kann nicht nachvollziehen, warum die Kappungsgrenze, die für Sozialwohnungen bis 2010 bestand, ersatzlos entfallen ist. Ich weiß, dass sie Geld gekostet hat. Das sind Wohnungen, die für Leute mit durchschnittlichem bis niedrigerem Einkommen gedacht sind. Und denen jetzt zu sagen, sie müssten jede Mietsteigerung mitmachen, ist in einer Situation, wo kein Ausweichangebot für diese Menschen besteht, nicht in Ordnung. Wir haben immerhin noch 150 000 Sozialwohnungen, und es kann nicht sein, dass wir für sie kein vernünftiges Mietenkonzept auf die Reihe bringen. Baden-Württemberg macht es uns vor.
Ein anderes brisantes Problem ist die Wohnungsversorgung von Arbeitslosen und Grundsicherungsempfängern. Wir haben zwar eine neue Rechtsverordnung, aber nach unseren Berechnungen liegen statt bisher 100 000 Haushalten immer noch 70 000 über den Mietwerten, die von den Jobcentern bezahlt werden. Das heißt, 70 000 Haushalte stehen weiterhin unter dem Druck, entweder aus ihrem Budget Geld für die Miete abzuzwacken oder eine neue Wohnung suchen zu müssen. Und die dürfte schwer zu finden sein.
Rehberg: Diese neue Verordnung ist wieder nach dem Modell gestrickt worden: Ich mache etwas in der Verwaltung und warte auf die Reaktion. Und wenn die Mieterseite sagt, das ist ganz schlecht, und die Vermieter sagen, das ist ganz gut, dann ist es in Ordnung. In diesem Falle sagen aber beide Seiten, das ist ganz schlecht, weil hier nämlich etwas mit heißer Nadel gestrickt wurde und den Realitäten nicht gerecht wird.
Herr Müller, diese neue Verordnung zur Übernahme der Mietkosten für ALG-II-Empfänger stammt ja aus dem Hause des Sozialsenators, was halten Sie von ihr? Und warum kappen sie die Sozialmieten nicht?
Müller: Zur Kappung der Sozialmiete: Baden-Württemberg macht das auf einem ganz anderen Mietniveau als bei uns - da liegt die durchschnittliche Sozialmiete deutlich über sieben Euro, etwa eineinhalb Euro höher als bei uns. Wenn wir aber ähnlich vorgehen würden, würde uns das 100 Millionen Euro kosten. Ich habe keine politische Mehrheit gesehen, diese Summe zur Verfügung zu stellen.
Was die Mietkostenübernahme für ALG-II-Empfänger betrifft: Die neuen Sätze hat der Senat erst im Frühjahr beschlossen. Damit müssen wir jetzt erst mal arbeiten und beobachten, ob sie die Lebenswirklichkeit in der Stadt abbilden. Wenn nicht, muss man da eventuell noch mal etwas korrigieren.
Lompscher: Ob die Kappung der Sozialmieten 100 Millionen kosten würde, weiß ich nicht, denn es liegt ja nichts vor aus der Verwaltung. Es gibt ja Unterstützungsbedarf für einkommensschwache Mieter auch nicht in der ganzen Stadt, sondern vor allem in attraktiven Innenstadtlagen. Beispiel Kottbusser Tor, wo die Leute nicht ohne Grund protestieren. Also ist es offensichtlich so, dass der Unterstützungsbedarf für Sozialmieter vor allem dort besteht, wo es diese große Konkurrenz auf dem Wohnungsmarkt gibt. Ich glaube nicht, dass das 100 Millionen Euro kostet.
Von den etwa 150 000 Sozialwohnungen gehört zudem nur ein Viertel den städtischen Gesellschaften, der große Rest privaten Eigentümern. Wir sollten nicht weiter dulden, dass diese immer die Hand aufhalten aufgrund absurder früherer Vertragssituationen, sondern müssen sie an den Kosten der Mietminderung beteiligen.
Müller: Eine Nachfrage: Wie soll denn diese differenzierte Unterstützung für die Sozialmieter aussehen? Da gibt es dann die Sozialmieter am Kottbusser Tor, die jede Woche demonstrieren und dann unterstützt werden, und dann gibt es die Sozialmieter in Marzahn oder in Spandau, die leer ausgehen?
Lompscher: Es gibt Sozialwohnungsbestände, wo die Mieterhöhungsmöglichkeiten gar nicht ausgeschöpft werden, weil es der Markt nicht hergibt. Also sind die Miethöhen heute schon differenziert. Deshalb muss die Unterstützung auch differenziert nach der aktuellen Wohnungsmarktsituation erfolgen, individuell für die Mieter und nicht für die privaten Eigentümer.
Der Stadtsoziologe Andrej Holm sagt, eine soziale Wohnungspolitik sei eigentlich gar nicht mehr möglich, es sei denn mit nicht profitorientierten Eigentümern. Stichwort Genossenschaften: Sind Sie schon in die von Ihrer Partei initiierte Genossenschaft »Fair Wohnen« eingetreten«, die die TLG-Wohnungen erwerben möchte?
Lompscher: Ich bin Gründungsmitglied und wohne auch selbst in einer kleinen Genossenschaft. Aber ausdrücklich: Das ist keine Genossenschaft der Linkspartei, sondern soll eine ihrer Bewohner werden.
Rehberg: Wenn der Bund die TLG-Wohnungen verkaufen will, soll er das mit sozialem Anspruch machen. Deshalb wünsche ich der Genossenschaft viel Erfolg und hoffe, sie wird dann Mitglied unseres Verbandes.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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