Im Tarifdschungel der Diakonie
Evangelischer Wohlfahrtsverband verschafft sich durch »Dritten Weg« Wettbewerbsvorteile
Die Kirchen begründen ihre arbeitsrechtliche Sonderstellung in Deutschland mit den Glaubens- und Wertebesonderheiten ihrer Unternehmen. Dem widerspricht nun eine Studie, die gestern von der Hans-Böckler-Stiftung in Berlin vorgestellt wurde. Demnach wird die starke Stellung der Arbeitgeber vom Diakonischen Werk, das etwa 453 000 Angestellte beschäftigt, genutzt, um im Wettbewerb mit anderen Sozialunternehmen Lohnkosten zu reduzieren und Arbeit zu flexibilisieren.
Für Kirchen gilt der sogenannte Dritte Weg. Das bedeutet, sie können die Arbeitsbedingungen für ihre Angestellten selbst bestimmen. In den Sozialunternehmen der evangelischen Diakonie und der katholischen Caritas gelten die Mitarbeitervertretungen im Vergleich mit Betriebs- und Personalräten als schwächer. Ein Streikrecht haben die Beschäftigten nicht. Löhne und Gehälter werden in mit Arbeitgebern und Arbeitnehmern paritätisch besetzten Kommissionen in Arbeitsvertraglichen Richtlinien (AVR) ausgehandelt. Gewerkschaften bleiben dabei in der Regel außen vor.
In den 22 evangelischen Landeskirchen und ihren diakonischen Werken gibt es laut Studie 16 solcher Arbeitsrechtlichen Kommissionen und knapp zwei Dutzend AVR. Viele davon lägen teils deutlich unter dem Niveau des öffentlichen Dienstes, an dem sich Kirche und Diakonie bis in die 90er Jahre weitgehend orientiert hatten. »Seitdem stehen Sozialunternehmen infolge der Konkurrenz um Aufträge der öffentlichen Hand oder der Sozialversicherung unter einem erheblichen Kostendruck«, konstatierte Norbert Wohlfahrt, Professor für Sozialmanagement an der Evangelischen Fachhochschule in Bochum. Häufig können Einrichtungen sogar die Arbeitsvertraglichen Richtlinien anderer Landeskirchen anwenden, wenn sie ihnen günstiger erscheinen.
Aus der bundesweiten Befragung von Mitarbeitervertretungen von 299 Einrichtungen ging außerdem hervor, dass flächendeckend Betriebe und Betriebsteile ausgegliedert werden. Betroffen sei in vielen Fällen das Küchen- und Reinigungspersonal, das bei schlechteren Arbeitsbedingungen und niedriger Bezahlung in Servicegesellschaften überführt werde. Die Gesellschaften seien oft hundertprozentige Töchter der diakonischen Einrichtungen.
»Dagegen hat die Leiharbeit in letzter Zeit an Bedeutung verloren«, erklärte die Dortmunder Sozialwissenschaftlerin Gertrud Kühnlein. Aber obwohl der Kirchengerichtshof der EKD im Oktober 2006 eine »auf Dauer angelegte Beschäftigung« von Leiharbeitern als »unvereinbar mit dem kirchlichen Grundsatz des Leitbildes von einer Dienstgemeinschaft« erklärt hatte, ist sie noch immer übliche Praxis bei einigen diakonischen Sozialunternehmen. Wo Leiharbeit existiert, diene sie oft »nicht nur zur Abfederung vorübergehender Personalengpässe, sondern vielmehr dem dauerhaften Ersetzen ›teurerer‹ AVR-Mitarbeiter«, so die Verfasser.
Als Konsequenz fordern sie einen Tarifvertrag Soziales »als Bremse der herrschenden Konkurrenzbedingungen«. Allerdings hatte der EKD-Ratsvorsitzende Nikolaus Schneider den »Dritten Weg« und die »Dienstgemeinschaft«, in der es »keinen Arbeitskampf geben kann«, trotz wachsenden Unmuts bei einigen Beschäftigten erst vor kurzem verteidigt. Dass, wie er behauptet, die »Dienstgemeinschaft« den theologischen Grundsätzen der Protestanten entspricht, ist indes zweifelhaft. Vielmehr handelt es sich nach Forschungen des Politologen Hermann Lührs um einen Kampfbegriff der Nazis für die Tarifordnung im öffentlichen Dienst von 1938, auf den die evangelische Kirche bei der Durchsetzung ihres arbeitsrechtlichen Sonderstatus Anfang der 50er Jahre zurückgriff.
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