Nicht bloß dabei sein
Judoka Maher Abu Rmeileh qualifizierte sich als erster Palästinenser überhaupt auf sportlichem Wege für Olympia
Nein, nur um die Ehre geht es ihm nicht. »Ich will nicht bloß dabei sein«, sagt Maher Abu Rmeileh, und seine Stimme verrät durchaus energische Entschlossenheit: »Ich möchte im Namen Palästinas in London eine olympische Medaille gewinnen.«
Abu Rmeileh ist Judoka, 28 Jahre alt, er stammt aus Jerusalem. Das allein macht ihn noch nicht zu etwas Besonderem, wohl aber die Tatsache, dass er sich als erster Palästinenser in der Geschichte der Spiele auf sportlichem Weg für Olympia qualifiziert hat. In der Gewichtsklasse bis 73 kg sammelte er die notwendigen 20 Quali-Punkte. Die vier anderen palästinensischen Athleten, zwei Leichtathleten und zwei Schwimmer, starten mit einer Wildcard des Internationalen Olympischen Komitees (IOC).
Die Halle, in der Abu Rmeileh trainiert, verdient den Namen eigentlich nicht. Es ist ein kleiner Raum mit einem Steinboden, an den Wänden direkt unter der Decke sind auf provisorischen Regalen Pokale aufgereiht. Vor dem Training legen die Judoka ihre Matten selber aus, es gibt keine Duschen und keine Umkleidekabinen. An Wochenenden finden hier für gewöhnlich Hochzeitsfeiern statt, deshalb sind an einer Seite des Raumes Stühle und Tische gestapelt.
Hier trainiert Abu Rmeileh, seit er als Siebenjähriger unter der behutsamen Anleitung seines Vaters mit dem Judo begann. Auf seinem Programm stehen täglich zwei Stunden Laufen, Schwimmen und Radfahren, abends dann noch einmal zwei Stunden Judo. Er hat immer viele Zuschauer, vor allem, seit bekannt ist, dass er bei Olympia startet. »Die Kinder kommen von der Straße rein und feuern mich bei allem an«, erzählt er: »Ich hoffe, dass nach Olympia viele selbst mit dem Training beginnen.«
Zehn Autominuten entfernt, im Westen der Stadt, liegt Jerusalems größter Kampfsportklub, in dem sich die israelischen Judoka auf London vorbereiten. Noch nie ist es Abu Rmeileh in den Sinn gekommen, die dort vorhandenen erstklassigen Bedingungen mit Ruheraum, Sauna, Restaurant und vielen anderen Annehmlichkeiten in Anspruch zu nehmen. »Solange es keine friedliche Einigung mit Israel gibt und Palästina nicht als eigener Staat anerkannt wird, kann es keine Kooperation zwischen uns geben«, sagt Abu Rmeilehs Trainer Hani al-Halabi.
Einige Male habe es Angebote gegeben, das moderne Trainingszentrum zu nutzen, um dort den Nachwuchs zu trainieren. »Aber das käme für uns niemals infrage«, sagt Abu Rmeileh. Er könne keinem palästinensischen Jungen, dessen Vater vielleicht im Gefängnis sitzt, dessen Haus zerstört wurde und der an keinem Kontrollpunkt passieren darf, zumuten, sich mit israelischen Kindern im freundschaftlichen Wettstreit zu messen.
In London kann er sich seine Gegner nicht aussuchen, gut möglich, dass er mit einem Israeli auf die Tatami muss, denn Judo ist neben Windsurfen Israels olympische Paradesportart. Für seine Frau und seine beiden Kinder, für seine Eltern und seine Geschwister ist Abu Rmeileh unabhängig von Gegnern und Ergebnissen schon jetzt ein Olympiasieger. »Mein Vater sagt, er kann seinen Stolz gar nicht in Worte fassen«, beschreibt der Sohn die Gefühle seiner Familie: »Er sagt, ich lebe seinen Traum.«
Bis es endgültig so weit ist, wird Abu Rmeileh weiterhin jeden Morgen den kleinen Tuchladen seines Vaters in der Altstadt von Jerusalem nahe dem Damaskustor aufschließen und abends zum Training fahren. Das Geschäft ist auch der Grund, warum ihn aus seiner Familie niemand nach London begleiten kann. »Zu der Zeit ist Ramadan, und da ist im Laden immer Hochbetrieb«, berichtet er.
Seine Angehörigen werden aber sicher gebannt vor dem Fernseher sitzen, wenn Maher Abu Rmeileh Palästinas kleine Mannschaft bei der Eröffnungsfeier am 27. Juli als Fahnenträger ins Londoner Olympiastadion führt.
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