Schönes Schwitzbad Leben

Heute wird Regisseur und Schauspieler Friedo Solter 80

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 5 Min.
Wir leben in menschenverachtender Zeit. Zynismus darf ungehindert den Charme eines Kunstgewerbes annehmen. Der Untergang droht, und man kippt mehr und mehr Konfetti drauf.

Immer geht es um die Behauptung des »frischen Ansatzes«. Nie eine Arbeit beginnen, als hätte man schon Erfolg gehabt.

Ich bin nach wie vor Frühaufsteher, aber ich habe inzwischen einen strengeren, genaueren Blick dafür, wie die Tage enden.

Friedo Solter,nd-Interview 1998
Wir leben in menschenverachtender Zeit. Zynismus darf ungehindert den Charme eines Kunstgewerbes annehmen. Der Untergang droht, und man kippt mehr und mehr Konfetti drauf. Immer geht es um die Behauptung des »frischen Ansatzes«. Nie eine Arbeit beginnen, als hätte man schon Erfolg gehabt. Ich bin nach wie vor Frühaufsteher, aber ich habe inzwischen einen strengeren, genaueren Blick dafür, wie die Tage enden. Friedo Solter,nd-Interview 1998

Da ist Kraft. Und es ist eine gerechte Kraft, sie gibt sich zu gleichen Teilen an Körper und Stimme. Friedo Solter ist ein raumfüllender Mensch. Der erste Mackie Messer der DDR, Fiesco, Fieskönig Claudius im »Hamlet«, im Fernsehen ein aufreizend massiger Danton, der listige Lügner Luka in Gorkis »Nachtasyl«. Ein langes Theaterleben - eine lange Rolle Rollen.

Als Regisseur der Mächtigkeit prägte er sich ein, des entschiedenen und wirksamen Dröhnens, quasi ein Pavarotti des gesprochenen, geschmeckten, verehrten, verstehenden, verhüllenden wie verheißenden Wortes - aber immer doch ein Aufschauender und Lernender von Größerem, das sich immer findet. Ein Elementarier des literaturbezogenen Theaters, den an Stücken die dialogische Bindungsstärke reizte.

Er war daher auch unbedingter Schauspieler-Bildner. Christine Schorn, Dieter Mann, Christian Grashof, viele andere. Er setzte sie frei, setzte sie Prüfungen und Belastungen aus, manchmal fühlten sich Betroffene ausgesetzt - aber nie verschwand in Streit, Ablehnung oder Zorn jene unwandelbare Zuneigung und Wertschätzung, wie man sie guten Lehrern zuteil werden lässt. Die oft erst spät als gut gelten, weil man sie als unbequem erdulden musste.

1932 wird Friedo Solter in Ludwigslust geboren. Die Mutter ist Näherin, der Vater ein kaufmännischer Angestellter. Abitur, Schauspielstudium, Jahre in Senftenberg und Meiningen. Es folgen vierzig Jahre Deutsches Theater Berlin, ein Schüler von Wolfgang Langhoff (er war dessen Tell) und Wolfgang Heinz. Lange Oberspielleiter am berühmten Haus in der Schumannstraße 13a. Wo Wurzellosigkeit ein unbekanntes und Schauspieler ein majestätisches Wort war. Solter hat sie als Spieler und Regisseur mitgeprägt, jene romantische Produktionsweise, jene schöne Kehrseite der behäbigen Planwirtschaft: die Zärtlichkeit, die Ruhe, die Unerbittlichkeit.

Die Zärtlichkeit kam vom Publikum, die Ruhe vom Zeitbesitz. Die Unerbittlichkeit aber kam von den Regisseuren, die damit freilich auch nichts weniger als Zärtlichkeit ausdrückten, gegenüber den Dichtern zuallererst. Damals lebte das Theater (gut!) davon, dass das Sagen der Wahrheit immer ein wenig abenteuerlich war; heute scheint das Theater ja manchmal ein bisschen daran zu sterben, dass die Wahrheiten einander aufheben. Damals kam die Wahrheit im klassisch kostbaren oder betont unauffälligen Gewand der List, heute aber ist sie nackt, denn sie muss mit allen teilen. Pluralismus mutet an wie Wert und Watte zugleich. Weiche Mitte besitzt etwas hochgradig Unbefriedigendes.

Der Regisseur Solter, das war: Egmont, Sturm, Stellvertreter, Lear, Tasso, Peer Gynt, Philotas. Er inszenierte »Unterwegs« von Rosow (Debüt für Christine Schorn und Dieter Mann), den Dauerbrenner »Nathan der Weise« mit Wolfgang Heinz, den »Wallenstein« mit dem wunderbar nöligen Eberhard Esche, Majakowskis »Schwitzbad« mit dem plebejisch-tapsenden Dieter Franke, Spolianskis Revue »Zwei Krawatten« mit dem schneidig-tänzerischen Dieter Mann.

Zumeist waren Aufführungen am Deutschen Theater bestürmende Schauspielerfeste! Man sagt einen Namen und meint zahlreiche Andere. Man sagt Solter und meint den spinösen, nervvibrierenden Düren, die preußisch präzise Keller, den asketisch verschlossenen Hentsch, die mütterliche Grube-Deister, den traurig komischen Ludwig, die noch im Verkrähten so damenhafte Macheiner, den sonderbar verträumten Baur, den scharfumrissenen Grosse, die diebisch vertrackte Ritter, den ironieglühenden Piontek. Es gab eine anrührende Vertrautheit zwischen Bühne und Publikum, gewachsen über Jahre. Spannung herrschte, zwischen Hochkultur der Repräsentation und intelligenter Unterwanderung offizieller Denkdoktrinen.

Auch in den besten Arbeiten Solters spielten sozialistisches Weltbild und träumerische Weltoffenheit klug und kühn eine Doppelrolle. Die Kunstabsicht verschmolz sehr oft mit den Erwartungen von Menschen, die während der Aufführungen nicht lauter Einzelne waren, sondern ein Publikum bildeten - aus Liebe zur Aura, aus gemeinsamer Lust, eine Grenzenlosigkeit zu diskutieren, die man in praxi nicht kannte, aber doch verstehen und erfühlen wollte. Jede Theaterkarte fürs Hohe Haus war ein Reisepass in Gegenwelten. Theater letztlich als offenste Form dieser geschlossenen Gesellschaft.

Als Solter Majakowskis »Schwitzbad« mit Dieter Franke auf die Bühne brachte, 1977, fand in der Pause ein fiktives Interview mit dem Dichter statt, eine Tonbandaufnahme zu Fotos von Majakowski, projiziert auf den Vorhang. Solter. »Kurz vor der Premiere hieß es: Das Interview raus oder die Aufführung findet nicht statt. Ich erwiderte, gut, dann trete ich vor den Vorhang und teile mit, an diesem Haus sei es verboten, Texte aus dem Verlag Volk und Welt vorzulesen.« Aus den laufenden Vorstellungen sickerte dann das Gerücht, Solters Arbeit hetze gegen Parteifunktionäre. Eines Tages sagte Politbüromitglied Kurt Hager, seine Kinder seien begeistert von der Aufführung. Solter: »Also, gute Kulturpolitik war, wenn ein Funktionär verständige Kinder hatte.«

Freilich: Das DT war Olymp, und jeder Olymp ist auch Begrenzung. Hohe Ebenen sind klein. Denn einen Schritt weiter kam nur noch die Mauer. Wer am »Deutschen« angekommen war, blieb. Der Höhepunkt war also auch der Endpunkt. Das Deutsche Theater war letztlich ein einsames Haus, damit geschlagen, sich einzig an sich selber messen zu müssen. Wie lange schafft man es, so wach zu bleiben, dass man diese Isolation der eigenen Größe auch als großen Verlust fühlt? Nach dem Herbst 1989 war man im wahren Sinn des Wortes heraus-gefordert: Von außen kamen neue Forderungen. Mit obligater Nebenwirkung: Was vorbei ist, wird irgendwann schöner, als es je sein konnte. Diese Trauer darf nicht auf sich beruhen lassen, wer noch bereit sein möchte für Zukunft.

Solter nach dem Ende der DDR, das war, kurz gesagt: Ulm, Schwäbisch-Hall, Cottbus, Meiningen. Er hat noch einen Thomas Bernhard am DT inszeniert, »Alte Meister«, mit Klaus Piontek, Dietrich Körner, Walter Schmidinger, bald dann ging er. Bei Wolfgang Langhoff hatte alles begonnen, bei Thomas Langhoff und dessen Neugier auf andere Leute aus anderen Denkwelten endete alles. Manchmal schließen sich Schaffenskreise so, dass der Bruch unausweichlich wird. Zeitenwechsel sind eben stets auch Ungerechtigkeitstriumphe. Vielleicht geht es nie anders - aber nicht jeder Regisseur und Dramaturg, der aus dem Westen kam, brachte mit Neuem auch Besseres. Doch das Neue hat stets einen Kredit, der sprengt quasi jede sichere Bank. Und trennt Menschen, wie er andere miteinander verbindet. Sag einer dem Leben, wie es gefälligst laufen soll!

Heute wird Friedo Solter - gedächtnisfest: Deutsches Theater! - 80 Jahre alt.

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