Überklebt - nicht überlebt

Stiftung Plakat Ost zeigt Plakate aus vier Jahrzehnten DDR

  • Harald Kretzschmar
  • Lesedauer: 3 Min.

Ja, das gibt es - die Tochter eines Grafikerpaares sammelt Plakate, man spricht zu Hause davon, sie lebt im Milieu der Macher, studiert Kunstgeschichte und macht ihren Doktor zum »DDR-Plakat 1949-1969«. Dr. Sylke Wunderlich verantwortet nun seit 2009 die Stiftung Plakat Ost. Darin ist ein großer Bestand von Originalen mit einem Datenpool zu rund 8000 Plakaten aus vier Jahrzehnten DDR vereint. 2007 waren über 300 davon erstmalig in Schwerin mit opulentem Katalog ausgestellt. In dem kaum genutzten Areal der 2. Etage Unter den Linden 40 gibt es nun bis 17. August die Chance, ganze Ensembles davon weiträumig auf ihre optische Wirkung zu prüfen. Unten strömen die Touristenscharen vorbei - wer aber wird hier zwischen ZDF-Residenz und Café Einstein darauf aufmerksam?

Noch leben einige der Plakatgestalter und können das Gezeigte kommentieren. Die Besucher bewegt Erinnern an einst Gesehenes. Andere entdecken ihnen bisher völlig Unvertrautes. Sind sie bereit, es bekannter europäischer Plakatkultur zuzuordnen? Ein Ratschlag: Mal vom übel beleumundeten politischen System absehen, und genau hingucken. Lassen Sie sich verführen! Gab es dahinter (oder davor) nicht eine attraktive Lebenswelt, die handfesten künstlerischen Ausdruck in vielerlei individuellen Spielarten fand? Ihr Markenzeichen war in der Summe eine bunte Mischung und in der Potenz eine gediegene gestalterische Qualität.

Der Rundgang durch die weiten Hallen beginnt bei der prosaisch nüchternen Formsprache der 40er Jahre. Politisch vordergründig waren da die Themen. Doch die sachliche Nüchternheit der Anfangsjahre wird von prominenten Namen wie Wittkugel und Baltzer, Rosie und Klemke schnell überwunden. Und auf dem Bodensatz biederer gebrauchsgrafischer Routine blüht unversehens Kultur auf, wenn Außenseiter wie Schwimmer malerische oder Appen theatralische oder Butzmann grafische oder Bofinger karikaturistische Glanzlichter draufsetzen. Werbung für Waren bleibt geradezu rührend provinziell - ein absolutes Stiefkind. Theater- und Filmplakat jedoch läuft zu heute längst nicht mehr erreichter Größe auf.

Mit den Jahren etabliert sich eine respektable Community von Meistern als Eigengewächs von den Hochschulen in Leipzig und Berlin-Weißensee. Verpflichtet einer Moderne, die sich vom bloßen Abbild zu abstrahierender Zeichenhaftigkeit steigert. Die Dialektik wirkt geradezu paradox: Indem man konsequent Inhalte bedient, gewinnt man souverän Form. Eine Wucht monumentaler und eine Zärtlichkeit filigraner Schriftgestaltung ist zu verzeichnen. Alles vermittelt ein grafisch knapp charakterisiertes Menschenbild - ganz im Gegenteil zu dem heute gefragten platt abfotografierten.

Da musste mit viel Fantasie und handwerklichem Geschick eine unzulängliche Technik gemeistert werden. Das ist vorbei. Heute sind wir in jeder Hinsicht fortgeschritten. Wir beherrschen unsere Computertechnik so souverän, dass wir von lästiger Handarbeit entlastet sind. Der Fortschritt ist relativ. Grafikdesign ist weitgehend unoriginell, weil anonymisiert. Noch sind wir bei der visuellen Gestaltung unseres öffentlichen Lebens nicht im anarchischen Chaos der Werbedrucksachen versunken. Noch treffen wir hin und wieder auf Relikte einer untergehenden Plakatkultur. Dieses »noch« - ist es nur ein kurzer Halt, bevor alles vergessen wird?

Bis 17. 8., täglich von 11 bis 19 Uhr, Unter den Linden 40, 2. Etage, 10117 Berlin-Mitte, www.stiftung-plakat-ost.de

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