Die Heimat um den Magnolienfluss

»Mulanxi - Unbeständigkeit« thematisiert die Zhong Gallery

  • Volkmar Draeger
  • Lesedauer: 3 Min.

Unbeständig ist nicht nur das Leben der zahllosen chinesischen Wanderarbeiter. Unbeständig meint in der aktuellen Ausstellung der Zhong Gallery auch die Existenz, wie sie Chinesen führten, die vor Zeiten nach Südostasien ausgewandert sind, nach dorthin ihre kulturelle Tradition mitgenommen und sie weiterentwickelt haben, wohl auch in Reibung mit dem, was sie in der Wahlheimat vorfanden. Wobei Südostasien jene Länder umfasst, die Europa darunter versteht, den Landzipfel von Myanmar bis Vietnam. Dieser Migrationsprozess liegt Jahrhunderte zurück und wirkt doch bis in die Gegenwart nach. Etwa in der Sippe Chen, die um 1900 auswanderte und heute verstreut über weite Landstriche lebt. Ihren Ursprung hat sie aber in einem Dorf nahe Futian im Südosten Chinas, auf Höhe der Insel Taiwan. Der Magnolienfluss, Mulanxi, quert diese Gegend als ein Hauptfluss der umgebenden Provinz, ist wichtige Lebensader. Was die Brüder Chen, Yufan, geboren in Futian 1963, Yujun, geboren dort 1973, beide heute ansässig in Hangzhou nahe Shanghai, beim Besuch im Geburtsort empfanden, wurde ihnen Anlass für eine Ausstellung. »Mulanxi - Unbeständigkeit« heißt sie und setzt ein Denkmal all denen, die einst fortzogen und dennoch mit dem Magnolienfluss verwurzelt blieben.

Zentrum der Exposition ist eine raumhohe Holzbox, wie sie den Auswanderern als Heim diente. Zusammengezimmert wurde sie von den Brüdern vor Ort aus den Transportkisten für die Kunstwerke. Sie entstand gewissermaßen genauso wie einst für die Vorgänger der Familie und ihresgleichen.

Sachlich und nüchtern gibt sie sich, in der Mitte ein Stützpfeiler, daneben eine Glühbirne für etwas Licht. Lieblos ist sie dennoch nicht, denn eine der Wände zieren Mitbringsel aus der Heimat im Gedenken an die Herkunft. Angepinnt an die Sperrholzplatten finden sich Familienfotos und Zeichnungen, Landschaftsschnappschüsse und eine Grafik, wo die Chens heute leben, Geldscheine aus Malaysia in künstlerischer Verarbeitung, vieles in Plastikhüllen zum Schutz und auch zum raschen Packen bei Bedarf. Nur temporär behaust sind hier die Bewohner, jederzeit bereit zum Aufbruch. An der Wand auf dem Boden lehnt eine bemalte Laubsägearbeit, vielleicht ein Mann aus der Ahnentafel, indes mit erloschenem Gesicht.

Ein Durchgang führt aus dem Wohncontainer ins Souterrain der Galerie. Dort haben die Chen-Brüder aus »Negativem Material«, so der Titel, eine umfängliche Installation aufgebaut. Unter diesem Namen verstehen sie jederart Abfall der Kunstproduktion: Schnitz- und Schreddermüll; bereits vorgeformte und gestapelte Holzstückchen; geschnittene und so aufklaffende Zeitungslagen, deren einstige Semantik bloß noch in Buchstaben aufschimmert; auch Verkohltes. All dies haben sie pittoresk und scheinbar zufällig, trotzdem wohlkalkuliert zu einem in sich stimmigen Kunstobjekt arrangiert, dessen Einzelteile weiterer Verwertung durchaus offen stehen. Auf flacher Holzplatte liegen filigran ausgeschnitten Baum und Schienenstrang, Lokomotive, Baumwurzel, Holzhammer; auf einer Kiste lagert totalverkohlt in gleichfalls verbrannter Stiege ein Holzblock. Alles atmet den Hauch des Veränderlichen, des Skizzenhaften, geordnet Ungeordneten, das Ausgangspunkt neuer Gestaltung werden könnte.

Ergänzt sind beide Installationen durch Arbeiten für die Wand. Zwischen zwei neonbeleuchteten weißen »Fenstern« mit feiner Lochung in Serien steht auf einem quadratischen Tischchen eine »Olympia« und hämmert ferngesteuert ihre Tasten ohne Papier auf die Rolle. Gegenüber sieht man teilbemalt Laubsägearrangements; eines ragt neben einem weiß getünchten kahlen Zweig aus einer länglichen Transportkiste, die zu klein für beide Objekte ist. Im Souterrain finden sich lochgestanzte Kartons unter Plexiglas und ein dunkler Kreis in der Manier eines Verkehrszeichens: Der Bär darin ist von einer Fahne durchbohrt, taucht darunter klein als Wappen einer weiteren Fahne auf. Wieder dominiert der Weg, nicht das Ziel von auf Ewigkeit bedachten Kunstwerken.

Bis 18.8., Di-Do 11-18 Uhr, Zhong Gallery, Koppenplatz 5, Mitte, Telefon 63 91 16 18, www.zhonggallery.com

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