Streit um Milliarden
Gesetzliche Krankenkassen wollen Vergütungen der Kassenärzte senken
Ein massiver Konflikt droht im Streit um die künftigen Honorare niedergelassener Ärzte: Die gesetzlichen Krankenkassen wollen deren Vergütung um insgesamt zwei Milliarden Euro kürzen. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) forderte hingegen eine Steigerung von 3,5 Milliarden Euro. Bis Ende des Monats müssen sich beide Parteien einigen, ansonsten entscheiden drei unabhängige Sachverständige.
Aus Kassensicht gesenkt werden soll der sogenannte Orientierungswert. Dieser Preis je »Leistungspunkt« liegt derzeit bei 3,5048 Cent. Er muss jedes Jahr neu verhandelt werden, war aber in den letzten beiden Jahren aus Spargründen vom Gesetzgeber eingefroren worden. Der Kassenverband fordert jetzt die Absenkung des Wertes auf 3,2537 Cent und beruft sich dabei auf ein selbst in Auftrag gegebenes Gutachten. Nach dieser Studie des Schweizer Unternehmens Prognos sind die Einnahmen der Ärzte stärker gestiegen als der finanzielle Aufwand für ihre Praxen.
Spitzenverdiener
Der durchschnittliche Überschuss einer Arztpraxis allein aus der Versorgung gesetzlich Versicherter sei von 105 000 Euro im Jahr 2007 auf 134 000 Euro 2011 angestiegen. Werden die Einnahmen durch privat Versicherte hinzugenommen, ließen sich sogar 165 000 Euro Reinertrag - im Durchschnitt - erzielen. Johann-Magnus von Stackelberg vom GKV-Spitzenverband zählt deshalb die 130 000 niedergelassenen Ärzte zu den Spitzenverdienern der Bundesrepublik.
Die Kassen behaupten, dass große Teile der Kosten in Arztpraxen unveränderlich seien. Hier regt sich aber der Widerspruch der Mediziner, die einen seit 2008 angefallenen Inflationsausgleich von 3,5 Milliarden Euro fordern. Laut KBV-Vorstand Andreas Köhler sei dieser Betrag auch notwendig, um gestiegene Betriebskosten auszugleichen. Bereits 2010 sei es in den Praxen zu einem »Investitionsstau« von zwei Milliarden Euro gekommen.
Viele Konflikte
Einen Sparkurs der Kassen bezeichnete Köhler auch als unverantwortlich gegenüber den Patienten, insbesondere jenen, die in ländlichen Bereichen leben. Allerdings ermöglicht das Anfang des Jahres in Kraft getretene Versorgungsstrukturgesetz den Kassenärztlichen Vereinigungen, regional selbst über die Verteilung der Honorare zu entscheiden und Anreize für Landärzte zu schaffen.
Noch im Juni hatte sich der Krankenkassen-Spitzenverband angesichts von Rekordüberschüssen von über einer Milliarde Euro im Quartal nicht nur gegen eine Beitragsrückerstattung an seine Mitglieder gewehrt. Auch die Ärztehonorare sollten nicht steigen - denn das Polster der Versicherer sei angesichts absehbarer Ausgabensteigerungen von knapp zehn Milliarden Euro für 2013 und 2014 nicht so reichlich. Hinzu kämen konjunkturelle Risiken im Euro-Raum.
Konflikte zwischen Kassen und Niedergelassenen gibt es ohnehin genug: Viele Ärzte dürfte immer noch ärgern, dass sie per Gesetz verpflichtet sind, den Kassen die Praxisgebühr weiterzuleiten, ohne dass ihnen der Aufwand erstattet wird. Hinzu kommen neue Verpflichtungen etwa aus der Datenaktualisierung auf der neuen elektronischen Gesundheitskarte.
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