Umweltschutz kontra Arbeitsplätze
Italienische Regierung will im Streit um die Schließung des ILVA-Stahlwerkes vermitteln
Das Stahlwerk in Taranto steht weiter im Mittelpunkt des Interesses. Vor drei Wochen beschloss die Staatsanwaltschaft, Teile der Fabrik zu beschlagnahmen und acht Eigentümer und Manager wegen Umweltverseuchung zu verhaften. Das größte Stahlwerk Europas ist eine Giftschleuder, Anwohner erkranken 15 Prozent häufiger an Lungenkrebs und anderen Leiden als andere Italiener.
Am Freitag sollte versucht werden, die Quadratur des Kreises zu finden: Auf der einen Seite stehen Gesundheit und Umweltschutz - auf der anderen über 20 000 Arbeitsplätze und letztlich das wirtschaftliche Überleben einer ganzen Stadt. Denn Taranto, die Hafenstadt am gleichnamigen Golf im Süden der italienischen Halbinsel, lebt von ILVA und dessen Zulieferern. Kaum ein Geschäftszweig - außer dem Tourismus vielleicht, der aber aufgrund der Umweltverschmutzung abgenommen hat - ist unabhängig vom Stahlwerk.
Nach dem Beschluss, Teile der Produktion und vor allem den Hochofen zu schließen, sind Politik, Gewerkschaften und Bevölkerung gespalten. Die Regierung will die Entscheidung vor dem Verfassungsgericht anfechten, da - so heißt es - die Industriepolitik eines Landes nicht von der Dritten Gewalt bestimmt werden könne. Einige Beschäftigte sind gegen die richterliche Verordnung auf die Straße gegangen. Sie kritisieren, dass man einen Hochofen nicht wie einen Fernsehapparat ein- und ausschalten könne und die Fabrik bei einem Produktionsstopp nie wieder auf die Beine kommen werde. Die Konkurrenz aus Deutschland und vor allem aus China stehe schon in den Startlöchern. Andere begrüßen die Maßnahme, weil man jetzt nicht mehr die Augen davor verschließt, dass die Fabrik mit Unmengen von Dioxin und Feinstaub Menschenleben auf dem Gewissen und ganze Landstriche total verdreckt hat.
Offensichtlich haben beide Seiten gute Gründe für ihre Meinung. Um einen Ausweg zu finden, kamen am Freitag zwei Minister der Regierung von Mario Monti nach Taranto: Industrieminister Corrado Passera und Umweltminister Corrado Clini sprachen unter anderem mit Lokalpolitikern, Verantwortlichen von ILVA, dem Erzbischof der Stadt und der Hafenbehörde. Sie weigerten sich aber, Vertreter der verschiedenen Bürgerkomitees zu empfangen, die sich in den vergangenen Wochen zusammengefunden haben. Vor allem Passera erklärte bereits im Vorfeld, es gehe darum, die endgültige Schließung zu verhindern, da dies das Ende der Stahlindustrie in Italien wäre.
Der Inhalt der Gespräche blieb zwar mehr oder weniger geheim, aber man weiß, dass Italiens Regierung auch daran denkt, EU-Gelder für eine Modernisierung des Werkes zu beantragen und den Hafen umzubauen, um so ausländisches Kapital in die Stadt zu holen. Man hofft, das Werk schrittweise sanieren zu können, ohne den Hochofen herunterzufahren.
Nichi Vendola, Ministerpräsident der Region Apulien, mahnt unterdessen zur Mäßigung: »Ich frage heute alle, ob man die Stahlindustrie einfach schließen kann. Ist es fortschrittlich, wenn Italien so robuste Produktionszweige einfach abschneidet? Natürlich kann man dieser Meinung sein: Aber ich bin damit nicht einverstanden!«.
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