Bürokratie zerlegt den Mauerpark später

Das Bezirksparlament verschiebt die entscheidende Abstimmung, weil zu viele Protestierer in den Sitzungssaal strömen

Eigentlich war bereits vor der Sitzung der Bezirksverordneten in Mitte alles klar. Über einen Beschluss des Bezirksamts aus dem Juni sollte abgestimmt werden. Der sieht neben einer Erweiterung des übernutzten Mauerparks auch eine Bebauung im nördlichen Teil der Erweiterungsfläche vor. Dagegen sperren sich alle Initiativen rund um den Mauerpark - weil sie viel massiver erfolgen soll, als bisher angenommen. Selbst die Bürgerwerkstatt, ein von Senat eingerichtetes Gremium zur Mitsprache der Anwohner, lehnt das Vorhaben ab. »Unsere Bemühungen für einen guten Kompromiss wurden einseitig aufgekündigt«, erklärte Alexander Puell, ein besonnener Sprecher der Bürgerwerkstatt, vor der Sitzung.

Rund 150 Menschen sind am Donnerstagabend zur Bezirksverordnetenversammlung (BVV) gekommen, um den Unmut darüber zu äußern, dass die Politik im Bezirksamt gemacht worden sei - und nicht im Parlament. Denn Fakten wurden längst vor der Abstimmung geschaffen. In der BVV sollten diese Hinterzimmerbeschlüsse mit einer Mehrheit von SPD und CDU durchgewinkt werden. Sven Diedrich, Abgeordneter der Linkspartei, hat einen solchen Politikstil, der jegliche Bürgerbeteiligung übergeht, nicht für möglich gehalten.

Doch das forsche Vorgehen im Bezirksamt, das in den letzten Wochen vollendete Tatsachen schaffen wollte, bringt die Initiativen wieder zusammen. Bei der BVV-Sitzung protestieren nicht nur die Freaks aus dem Park, sondern auch die Anwohner aus dem bürgerlichen Prenzlauer Berg. Heiner Funken von der Stiftung Weltbürgerpark verspricht den Demonstranten vor dem Rathaus ein Lehrstück der Demokratie. Sein bissiger Unterton ist unüberhörbar. Funken kämpft seit Jahren für eine größtmögliche Mauerparkerweiterung von der Bernauer Straße bis zu den S-Bahngleisen - ohne jegliche Bebauung.

Diese Möglichkeit geriet zuletzt mehr und mehr außer Acht. Wenngleich die Mehrheit der Protestierer sich ebenfalls gegen jegliche Bebauung sträubt. Zum Sitzungsbeginn um 17.30 Uhr strömen sie in den Saal, der nur für wenige Besucher ausgelegt ist. Als sie auch in den Raum vordringen, der den Parlamentariern vorbehalten ist, unterbricht der Vorsteher der BVV, Diethard Rauskolb (CDU), die Sitzung.

Unübersichtlich ist es in dem Sitzungssaal geworden. Kaum ist mehr zu unterscheiden, wer Abgeordneter und wer Zuschauer ist. Rauskolb fordert die Protestierer auf, in den Vorraum zu gehen. Sie bleiben aber. »Gibt es die kleinste Störung, lassen wir den Saal von der Polizei räumen«, stellt Rauskolb daraufhin klar. Thorsten Reschke, Fraktionsführer der CDU-Fraktion, fühlt sich bedroht. Vertreter von SPD und CDU ziehen sich schließlich zurück. Die Zuschauer skandieren im Chor: »keine Bebauung, keine Bebauung«. Der Ältestenrat zieht sich zur Beratung hinter verschlossene Türen zurück.

Es ist keine zwei Wochen her, dass Katja Dathe ihren Job bei der Piratenfraktion schmiss. Die BVV sei kein Parlament, sondern ein Bürokratiemonster, das »auf sehr perfide Art jede Form bürgerlichen Engagements« zerreibe, sagte die 42-Jährige. Allenfalls sei das eine Demokratiesimulation. Mehr aber nicht.

Eine Gruppe Senioren aus dem Freizeitheim in der Weddinger Schulstraße verlässt den Saal. In der Sitzung sollte auch über die Schließung ihrer Einrichtung verhandelt werden. Ein Älterer beschwert sich über die Protestierer, die die Sitzung gesprengt hätten. »Mit Demokratie hat das nichts zu tun«, sagt er.

Gerüchte dringen in den Sitzungssaal. Wenn die Polizei räumen sollte, hieß es, würden die Oppositionsparteien Grüne, Piraten und LINKE auch gehen. Die Befürworter einer massiven Bebauung wären dann unter sich. Die Farce wäre vollendet gewesen.

Indes sucht Baustadtrat Carsten Spallek (CDU) im Vorraum den Dialog mit den Protestierern. Er wirbt für Verständnis für den jetzigen Kompromisses mit der CA Immo, der Eigentümerin des Areals. Dem Unternehmen werde Baurecht im Norden des Areals eingeräumt, im Gegenzug erhalte Berlin fünf Hektar Fläche zur Parkerweiterung, erklärt Spallek. Der klamme Bezirk sei auf dieses Kompensationsgeschäft angewiesen. Andernfalls werde die CA Immo wieder Gewerbetreibende auf die Fläche lassen. »Dann wäre eine Erweiterung für viele Jahre vom Tisch.« Für Heiner Funken, den Wortführer der Protestierer, sind das gebetsmühlenartig wiederholte Argumente.

Um kurz vor 20 Uhr kommen die Parlamentarier zurück. Rauskolb verkündet, dass die Sitzung nicht mehr aufgenommen wird. Alle Fraktionen hätten sich dazu entschlossen, sie zu einem späteren Zeitpunkt in einem größeren Saal nachzuholen.

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