Verdrängen, wegschauen - bis zu neuem Entsetzen?

Die Naziszene im Nordosten ist präsent und clever wie nie zuvor

  • René Heilig
  • Lesedauer: 2 Min.
Geprägt wird der Rechtsextremismus in Mecklenburg-Vorpommern durch die neonazistische Kameradschaftsszene, die sich seit Jahren aktions- und kampffähig zeigt. Im letzten verfügbaren Verfassungsschutzbericht 2010 ist von 1400 Personen die Rede.

Wolfgang Richter, vor 20 Jahren Ausländerbeauftragter in Rostock, war im attackierten Sonnenblumenhaus. Wie die Bewohner stand auch er Todesängste aus. Dass die Vorgänge von damals aufgeklärt seien, kann er nicht sagen. Und auch nicht, dass so ein Pogrom nie wieder vorkommen kann. Aus damals noch relativ spontanen Neonazi-Strukturen sind erprobte, schlagkräftige und weithin geschickt agierende geworden, die nicht minder militant sind. Die NPD sitzt in der Rostocker Bürgerschaft wie im Schweriner Landtag. Außerparlamentarisch agieren Freie Kameradschaften, deren Potenzen dem Thüringer Heimatschutz - aus dem die NSU-Terrorzelle entwachsen ist - in nichts nachstehen.

Das eigentlich Erschreckende ist das schier grenzenlose Selbstbewusstsein, mit dem Rechtsextreme auftreten. Der Vorsitzende der NPD-Landtagsfraktion, Udo Pastörs - gerade wieder wegen Hetzreden gerichtlich verurteilt - erhielt seit Beginn der Legislaturperiode knapp 200 Ordnungsrufe und führt damit die Rangliste der parlamentarischen Störer mit weitem Abstand an. Ihm wurde außerdem bisher 29 Mal das Wort entzogen und 21 Mal schloss ihn das Präsidium sogar von der Parlamentssitzung völlig aus.

Nicht minder ungeniert agiert das Fußvolk. Man kämpft längst nicht mehr nur um die Straße. Ganze Ortschaften stehen unter dem Protektorat militanter Kameraden. Beispiel der 120-Seelen-Ort Jamel in Nordwestmecklenburg. Dort herrschen der Abbruchunternehmer Sven Krüger und seine Mannschaft. Der war Kreistagsabgeordneter der NPD in Wismar und bis 2001 Mitglied des Landesvorstandes. Bis zu diesem Zeitpunkt wies Krügers Polizeiakte 51 Vorstrafen auf: schwere Körperverletzung, gewerbsmäßige Hehlerei, Landfriedensbruch und Verwendung verfassungsfeindlicher Symbole. 2011 wurde er zu vier Jahren Haft wegen Hehlerei und Verstoß gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz verurteilt. Bei einer Durchsuchung seiner »Festung« hatte die Polizei eine Maschinenpistole, eine weitere Schusswaffe und 400 Schuss Munition gefunden. Im Knast gründete Krüger einen Verlag und geht nun mit Biografien von SA-Führern hausieren.

Wie immer man die Vorgänge um die Rostocker Ex-Polizistin und Olympia-Ruderin Nadja Drygalla sowie ihren Nazi-Kameradschaft-Freund Michael Fischer bewerten mag - in nahezu allen Internet-Diskussionsforen, in denen das Thema eine Rolle spielte, stieß man auf eine höchst clever inszenierte Gegenoffensive von Rechtsextremen. Ihre Schlagworte wurden bedenkenlos aufgegriffen und weitergetragen. Wer bis dahin geglaubt haben mag, dass die »breite Masse« zwei Jahrzehnte nach dem Pogrom von Lichtenhagen nicht mehr so willig rechte Rhetorik übernimmt wie einst, muss entsetzt gewesen sein.

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