Alles Verrückte

»Mit 200 Sachen ins Meer« eröffnet die Spielzeit im Theater RambaZamba

  • Anouk Meyer
  • Lesedauer: 3 Min.

So schrill und bunt wie die Hawaiihemden des Cocktail schlürfenden Arztes wirken auch seine Patienten, ausgestattet mit Indianerhaube, Federboa oder Hut und Sonnenbrille. Alles Verrückte? Ja und nein: In der wunderbaren Anti-Psychiatrie-Komödie des Theaters RambaZamba »Mit 200 Sachen ins Meer« sind die Insassen der Nervenklinik klarsichtiger als viele »Normale«. Und verfügen zudem über einen nicht tot zu kriegenden, staubtrockenen Humor.

Das stellt der verunsicherte Neue (Björn Wunsch) schon fest, als er nur »Guten Tag« wünscht: »Versprechen Sie nichts, was Sie nicht halten können«, erwidert Newton, der ewig mit zwei Brillen hantierende Oberzyniker der Truppe, und bäumt seinen spastisch verkrümmten Körper lachend im Rollstuhl auf. Sven Normann spielt diesen alles durchschauenden Anstaltskenner mit gewohnter Intensität; seine Erfahrungen mit gut gemeinten Therapien fasst er in einem Song zusammen - »Brust raus, Arsch rein, und immer kreativ geblieben. Das wird schon!«

Überhaupt wird viel gesungen in dieser musikalischen Traum-Revue, die zum besten gehört, was das RambaZamba-Ensemble in den letzten Jahren auf die Bühne gebracht hat. Unterstützt von einer fünfköpfigen Band, die dezent hinter einer schrägen Barriere untergebracht ist, verwandeln die behinderten Schauspieler die karg eingerichtete, ganz in schwarz gehaltene Bühne in einen Zaubergarten der Illusion. Der Raum, leer bis auf acht Türrahmen auf Rollen, behängt mit Jalousien zum Hoch- und Runterziehen, wird zur Rampe, auf der die Insassen ihre (verlorenen) Träume sprechen, tanzen und singen.

Nach und nach erfahren die Zuschauer nicht nur, dass der »Neue« in der Psychiatrie seine Amnesie überwinden und sein Erinnerungsvermögen wieder finden soll, sondern lernen auch die Geschichten der anderen Patienten kennen, von denen nicht wenige nach gescheiterten Beziehungen hier gelandet sind oder weil sie sich nicht so verhalten haben, wie unsere stets urteilende Normgesellschaft das vorsieht. So wie die reiche Goldie, die von ihren Verwandten entmündigt und eingewiesen wurde, als sie ihr Erbe verschenken wollte.

Regisseur Kay Langstengel, der seit dem Weggang von RambaZamba-Mitbegründer Klaus Erforth dessen Truppe leitet, hat selbst zwölf Wochen in der Psychiatrie gearbeitet und »beschlossen, dass er da nie wieder hin wollte«. Ein Bauleiter, den er dort kennen lernte, war Vorbild für die Figur der Goldie. Die Texte schrieb er seinen Darstellern auf den Leib, sah sie beim Schreiben vor sich. Überwiegen zu Anfang sarkastische Dialoge, wird das Stück nach und nach zum Musiktheater á la Brecht, mit ruhig-melodiösen Stücken, einer bunten Karnevalspolonaise voll überschäumender Lebensfreude und trotzig-optimistischen Passagen wie dem großartigen Solo »Ick steh’ uff mir« von Ulrike Lührs: »Wenn ick in den Spiegel seh’, dann sehe ich, wie ich mal war - ganz jung, ganz hübsch, ganz wunderbar.«

Langstengel und sein Choreograph Kolja Seifert finden wunderschöne, berührende Bilder für dieses Niemandsland, in dem Menschen zwischen Bastelarbeit und Haldol verwahrt werden - und doch nur ein selbstbestimmtes Leben nach ihrer Facon führen wollen. Da tanzt der hygienefixierte Putzteufel in Ermangelung eines Partners einen bewegenden Walzer mit seinem Wischmob, rappt Dealer Shaggy in Al Capone-Kluft »Zieh’n wir ne Line«, rührt »Gingers Tanz« als zärtlich-behutsamer Pas de deux zwischen der halbseitig gelähmten Sophie Schöffler und Tänzer Kolja Seifert an die Herzen der Zuschauer. Dieser »integrative Tanz«, in dem ein Paar Stärken und Schwächen gegenseitig ausbalanciert und sich vollen Respekt entgegenbringt, wirkt wie ein Sinnbild nicht nur dieses etwas anderen Theaterensembles, sondern könnte auch als Anleitung gesehen werden, wie eine Gesellschaft mit ihren gehandicapten Mitgliedern umgehen sollte.

Ab 30.August, 19 Uhr, Theater RambaZamba in der Kulturbrauerei, Schönhauser Allee 36-39, Prenzlauer Berg; Karten unter Tel.: 43 73 57 44

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