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Mutlos oder Meilenstein?

  • Tom Strohschneider
  • Lesedauer: 5 Min.
In der Linkspartei hat das Karlsruher Urteil ein unheitliches Echo hervorgerufen. Man muss an dieser Stelle nicht gleich wieder grundsätzliche Differenzen vermuten, aber es ist genauso wenig zu übersehen, dass in den Reihen der LINKEN-Politiker bei der Bewertung des Richterspruchs zur Mitwirkung der Bundesrepublik am Euro-Rettungsschirm ESM und am Fiskalpakt unterschiedliche Akzente gesetzt werden. Ein kleiner Überblick:

Der europapolitische Sprecher der Linksfraktion im Bundestag, Diether Dehm, sprach von einem »wichtigen Teilerfolg«. »Mit den vom Gericht formulierten völkerrechtlichen Vorbehalten haben wir der Demokratie einen wichtigen und guten Dienst erwiesen. So muss sichergestellt sein, dass die Haftungsobergrenze von 190 Milliarden Euro in keinem Fall überschritten wird. Außerdem müssen die Informations- und Beteiligungsrechte des Deutschen Bundestages vor dem Hintergrund der Immunitätsregelung für den Gouverneursrat, das Direktorium und Mitarbeiter des ESM gewahrt bleiben.« Dehm kritisierte das Gericht gleichwohl – die LINKE sei von den Karlsruher Verfassungshütern unfair behandelt worden: »Die anwesenden Vertreter meiner Fraktion sahen sich als einzige Klagevertreter nicht in den ersten Reihen platziert.«

Der ehemaliger Bundesrichter Wolfgang Neskovic, der als parteiloser für die LINKE im Bundestag sitzt, kritisierte hingegen das Urteil als »mutlos und enttäuschend«. Viele Bürger hätten »erwartet, dass das Gericht den Mut aufbringen würde, den Weg zu einer ‚marktkonformen Demokratie' mit einem entschiedenen verfassungsrechtlichen ‚Nein' zu versperren«, sagte der Justiziar der Linksfraktion. »Das Bundesverfassungsgericht folgt mit seiner Entscheidung im Kern einer Politik, die nicht versucht, die Finanzmärkte demokratiekonform zu gestalten, sondern sich dem Ziel einer ‚marktkonformen Demokratie' unterwirft. Daran können auch die im Urteil formulierten Bedingungen nichts entscheidend verändern. Sie erweisen sich im Ergebnis als die äußerste verfassungsrechtliche Rückzugslinie.«

Gregor Gysi und Dietmar Bartsch bewerteten das Urteil anders. Der Fraktionschef zeigte sich »deshalb zufrieden, weil das Bundesverfassungsgericht völkerrechtlich verbindliche Vorbehalte fordert, bevor die Verträge unterzeichnet werden. Wenn diese Vorbehalte nicht wirksam werden sollten, dann gilt der Vertrag für Deutschland nicht. Viel mehr ist nicht zu erreichen.« Sein Stellvertreter Bartsch ergänzte, es gebe nun »keinerlei Unterlagen, auch geheime, die den ESM betreffen, die nicht vom Deutschen Bundestag eingesehen werden dürfen. Das Bundesverfassungsgericht hat eindeutig eine Haftungsobergrenze Deutschlands von 190 Milliarden Euro beim ESM festgelegt, die auf gar keinen Fall ohne Zustimmung des Bundestages überschritten werden darf.« Wichtigster Punkt sei jedoch, »dass das Gesetz zum ESM-Vertrag vom Bundespräsidenten vor den verbindlichen völkerrechtlichen Klarstellungen nicht unterzeichnet werden darf und der Vertrag insgesamt unwirksam wird, wenn sich die Vorbehalte nicht als wirksam erweisen sollten.« Die Rechte des Bundestages seien »gestärkt und nicht geschwächt worden«.

Anders sieht das die Bochumer Bundestagsabgeordnete Sevim Dagdelen. Das Bundesverfassungsgericht habe sich mit der Entscheidung »leider (…) dem enormen Druck der Parteien CDU/CSU, FDP, Grüne und SPD gebeugt«. Das Urteil sei »verfassungsrechtlich äußerst problematisch und ein Schlag gegen die parlamentarische Demokratie. Mit der heutigen Entscheidung wird das Haushaltsrecht des Deutschen Bundestages ausgehebelt«. Zwar hätten »die Richter scheinbar mit dem Mut der Verzweiflung trotzdem versucht, der Entdemokratisierung durch ESM und Fiskalpakt Schranken zu setzen«. Dies sei im Wesentlichend er Klage der Linksfraktion zu verdanken. Allerdings würden die Menschen bald schon »die verheerenden Folgen dieser Entscheidung spüren. Es geht allein darum, frisches Geld zur Rettung von Banken und Investmentfonds zu mobilisieren auf dem Rücken von Beschäftigten, Erwerbslosen und Rentnern.«

Der frühere Bundesgeschäftsführer der LINKEN und Bundestagsabgeordnete Werner Dreibus sagte nach dem Urteil, »jeder kann mal irren, auch das Bundesverfassungsgericht«. Dass die Entscheidung »in diese Richtung ausfällt, war zu erwarten«, die Karlsruher Richter würden »offenbar kein Problem darin« sehen, »dass der Bundestag lediglich einmal ESM und Fiskalpakt zustimmt, danach kein 'Kündigungsrecht' mehr hat und im Ernstfall bei den Beschlüssen der Brüsseler Bürokratie über den nationalen Haushalt ohne großen Einfluss sein wird.« Auch Dreibus machte auf die »unterschiedlichsten politischen Einflüsse« aufmerksam, denen das Bundesverfassungsgericht ausgesetzt seien - »insbesondere von Medien und Parteien. Außerdem seien natürlich die Richterinnen und Richter selbst nicht politisch neutral.« All das habe dazu geführt, »dass das Verfassungsgericht in Fragen individueller Grundrechte einige von im positiven Sinne wegweisenden Urteilen gefällt hat. Dem gegenüber zeigte es sich in Fragen der kollektiven demokratischen Rechte aber eher konservativ im Sinne der Rechtfertigung bestehender Regelungen.«

Der Vorsitzende der Linksfraktion im Thüringer Landtag, Bodo Ramelow, nannte das »Ja, aber-Urteil« einen »Teilerfolg«. Mit dem Beschluss des Gerichts sei eine deutliche Haltelinie gezogen worden. »Bevor Bundespräsident Gauck diesem Gesetz grünes Licht gibt, müsse erst völkerrechtlich abgesichert werden, dass der Bundestag bei einer Ausweitung des Finanzrahmens beteiligt wird. Damit habe Karlsruhe »einen wichtigen Meilenstein für die Demokratie geliefert. Das Budgetrecht bleibt in der Hand der Abgeordneten«. Ramelow sprach aber auch eine andere Seite des Urteils an: Die LINKE und Zehntausende Bürger sowie der Verein Mehr Demokratie hätten auch geklagt, »weil die Folgen des Fiskalpakts massiven Sozial- und Demokratieabbau« bedeuteten. »Das muss nach wie vor verhindert werden.« Ramelow erneuerte unter anderem die Forderung nach einer Reichensteuer und nach einer Zügelung der Finanzmärkte.

(siehe auch die nachgetragenen Äußerungen von LINKEN-Politikern in den Kommentaren)
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