80 Prozent Gemeinsamkeit

  • Tom Strohschneider
  • Lesedauer: 5 Min.
Osten und Westen - auch an diesem Wochenende ist in der LINKEN darüber diskutiert worden. Auf einem kleinen Parteitag in Sachsen zum Beispiel. Dort warnte der Bundesvorsitzende Bernd Riexinger „vor einer neuerlichen Ost-West-Debatte", wie es eine Nachrichtenagentur formuliert. „Wir sind eine gesamtdeutsche pluralistische Partei, das muss im Mittelpunkt stehen", wird der Gewerkschafter aus Baden-Württemberg zitiert. Die Linkspartei solle mit den 80 Prozent Gemeinsamkeiten Politik machen „und sich nicht zerlegen".

Was Riexinger allerdings auch sagte: „Alle sind erleichtert, dass die Integration der verschiedenen Strömungen und Traditionslinien gelingt und wir wieder zusammen Politik machen." Dass das nicht ohne Diskussion über Kurs, Strategie, Inhalte bleibt, ist eigentlich verständlich - dass in der Partei auch alle Verständnis dafür haben nicht unbedingt. In der Austragung von Widersprüchen vorankommen, daran hat Riexinger in Dresden noch einmal appelliert.

Angesichts der herannahenden Bundestagswahlen könnte eine solche Diskussionskultur sogar für Rückenwind sorgen: als Alternative zum angeblich alternativlosen Daherschreiten einer übergroßen Koalition, aus der sich bereits die machtpolitisch realistische kleine Variante aus Union und SPD herauszuschälen beginnt. Ebenfalls am Samstag hatten die sozialdemokratischen Spitzen bei einer Konferenz in Berlin ihren Auftritt - und wenn man die Signale richtig deutet, läuft immer mehr in der K-Debatte der SPD auf Peer Steinbrück zu.

Mehr als nur "Weg mit Hartz IV"

Die Linkspartei freilich wird nicht allein deshalb stärker werden, weil die Sozialdemokraten mit einem Spitzenkandidaten ins Rennen gehen, dem es an jenem „Stallgeruch" mangelt, der zum Beispiel für viele gewerkschaftliche Wähler wichtig ist. Es wird auch darauf ankommen, dass die LINKE als Partei wahrgenommen wird, die beides kann: radikale Zuspitzung in der Kritik und überzeugende Vorschläge für reale Veränderung. Riexinger hat beim kleinen Parteitag in Dresden auf eine wichtige Frage in diesem Zusammenhang hingewiesen. Mit dem Slogan "Weg mit Hartz IV" werde man nach zehn Jahren keinen Erfolg mehr haben, zitiert ihn eine Nachrichtenagentur. Stattdessen müsse die LINKE betonen, dass sie glaubwürdiger als alle anderen Parteien für Mindestlöhne und eine auskömmliche Rente stehe.

Apropos Rente und Löhne. In Mecklenburg-Vorpommern traf sich ebenfalls am Samstag die Linke zu einem Parteitag und dabei wies Linksfraktionschef Helmut Holter darauf hin, dass die Menschen im Osten gar nicht das Geld hätten, um privat vorzusorgen - wie es die Bundesarbeitsministerin zur Voraussetzung für die so genannte Zuschussrente machen will. Wer so wenig verdient wie viele in den neuen Ländern, brauche jeden Euro zum eigenen Leben.

Landeschef Steffen Bockhahn erinnerte in Ludwigslust daran, dass die Gehaltsunterschiede zwischen Ost und West immer noch teils bei 600 Euro liegen. Und zurzeit auch keinesfalls die Sonne des Optimismus über den neuen Ländern scheine: in der Solarbranche im Osten würden massenhaft Jobs wegbrechen, die Energiepreise würden vor allem im Osten steigen, der Osten bleibe das Experimentierfeld für den Sozialabbau. Gleichwohl soll vom Osten nicht als Gegenrede zum Westen gesprochen werden, Bockhahn sagte auf dem Landesparteitag, das, was der Osten erlebt habe, so Bockhahn, das drohe auch dem Westen - vor allem bei der Altersarmut.

Streit mit Kreisverband Stralsund

Nicht nur in diesem Punkt dürften die „80 Prozent Gemeinsamkeiten", von denen Riexinger in Dresden sprach, in der LINKEN Realität sein. Was wie gesagt nicht an weiteren Diskussionen hindern sollte. Weder sollte sich eine emanzipatorische Partei dem Ruf „Klarheit vor Einheit" unterwerfen noch dem umgekehrten Slogan. Keine Gemeinsamkeit - und auch nicht die eigentlich vom Landesvorstand angestrebte Einheit gibt es im Nordosten in einer Frage, die nun auch die Gerichte beschäftigt hat.

Der Landesparteitag in Ludwigslust lehnte einen Antrag des Vorstandes ab, die Kreisverbände Stralsund und Vorpommern-Rügen zusammenzulegen - zuvor hatte das Landgericht Schwerin dazu eine auf Antrag der Stralsunder Genossen eine einstweilige Verfügung erlassen. Zuvor hatte der Landesausschuss der Partei mehrheitlich empfohlen, den Antrag auf Zusammenschluss zurückzuziehen.

Die Landeslinke will mit der Zusammenführung der Kreisverbände ihre Organisationsstruktur jener der neu gebildeten Landkreise anpassen. Es geht in dem Streit, in dem sich der Kreisverband Stralsund mit seinen rund 140 Mitgliedern seit Monaten gegen den Zusammenschluss mit Vorpommern-Rügen wehrt, aber nicht nur um Satzungsfragen und organisatorische Eigenständigkeit.

Chefin des Kreisverbandes Stralsund ist die frühere Sozialministerin Marianne Linke, die glaubt, die Landesspitze versuche unter anderem sie „politisch abzudrängen" - nachdem sich die Ex-Ministerin und andere Delegierte des Kreisverbandes im August 2011 bei einem Landesparteitag geweigert hatten, zum Gedenken an Maueropfer aufzustehen. In der "Jungen Welt" warf Linke den „Realos" im Nordosten vor, „zentralistisch und autoritär" vorzugehen.

Landeschef Bockhahn warf Linke im Gegenzug vor, sich lediglich profilieren zu wollen - und zwar auf dem Rücken der Partei. „Sie hat keine Interesse an einer Einigung und ist nur auf Sabotage aus", wird Bockhahn auf ndr.de zitiert. Das sei unverantwortlich, sagte er auch mit Blick auf die Bundestagswahl 2013.
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