Ein Hinterhoftheateralbtraum

Vergnüglicher »Letzter Vorhang« an der Jugendbühne in Prenzlauer Berg

  • Lucía Tirado
  • Lesedauer: 3 Min.

Hilfe. Das Wort hört man kaum noch. Höchstens als letzten Schrei. Rettung ist das temporäre Zauberwort. In der Inszenierung »Letzter Vorhang« des Kinder & Jugendtheaters Murkelbühne taucht es als »Kabarettungsversuch« im Untertitel auf.

In dem Stück des JugendTheaterEnsembles für Menschen ab 14 von Matthias Kubusch geht es um ein kleines Berliner Hinterhoftheater. Ideen, Geld, Publikum sind ihm ausgegangen. Überdies beschwerten sich schon Bürger über nächtlichen Lärm und üble Gerüche. So richtig sauber und ordentlich gehe es in diesem Kulturdings nicht zu, sagen die Leute. Der Theaterdirektor versuchte mehrfach, das zur Kontrolle anrückende Bezirksamt abzuwimmeln. Also, es steht nicht zum Besten.

Mit Witz werden in dem Stück die üblichen Hinter-der-Bühne-Klischees und Pleitesituationen ins Groteske getrieben, ohne abgenutzt zu wirken. Das reicht von Querelen am einzigen Schminktisch in der Garderobe, über den So-kann-ich-nicht-arbeiten!-Ausruf bis zur Selbsthilfeaktion der wie alle hier zwangsläufig schon ohne Gehalt arbeitenden Putzfrau. Sie wischt bereits mit einem aus der Schule von nebenan geborgten Scheuerlappen herum.

Um aus der heiklen Lage zu finden, werden kollektiv einige Ideen geboren. Etwa zu Workshops für Kinder oder Castings für Neues auf offener Bühne. Man könnte auch die Räume, für die man selbst die Miete schuldet, vermieten. Natürlich bieten all diese Situationen wieder herrliche Vorlagen für weitere komische Typen und Szenen. Lachend gingen die Zuschauer bei der Premiere in die Pause, weil »Der Jedermann Aktionschor« beim Casting sein Arbeiterkampflied auch nicht abbrach, nachdem sich der Vorhang schloss.

Eine Szene übrigens, in der sich unterstützend auch Ältere engagieren. Ansonsten wird das Stück von 16 Jugendlichen des Theaterkurses A des Hauses gezeigt. Sie bewältigen mehr als 20 Rollen. Einige von ihnen schauspielern bereits sechs Jahre an der Murkelbühne. Gut, wenn auch mitunter etwas verhalten, wurde bei der Premiere gesprochen. Keine übertriebene Gestik ist im Spiel, was von guter Ausbildung zeugt.

Eine herrliche Komödie für Jugendliche und Erwachsene ist dieser »Letzte Vorhang«, mit einer Prise Tragik, die das Komische würzt. Kabarett gibt es allerdings nur in einer Szene, in der sich ein Nazi mit Anwalt und zwei Salafisten als mögliche Raum-Mieter streiten. Dann stark, mit aller Konsequenz.

Der letzte Vorhang fällt. Diesen in dem Stück als Albtraum dargestellten Umstand wählte Kubusch als Ende. Es wirkt nicht so stimmig wie das Spiel zuvor. Der Knackpunkt ist, dass dieses Stück die Pause wegen des Chores braucht. Es sei denn, dass sich bei dessen Durchhaltesingen hinterm Vorhang auch zwischenzeitlich davor etwas abspielen würde. Dann bliebe das gute Stück in einem guten Stück.

Da könnte sich der »Direktor« noch etwas einfallen lassen. Aber was soll's mit fremden Ideen. Künstler machen glücklicherweise ohnehin, was sie wollen. Ohne den Eigensinn von Matthias Kubusch, Ramona Zimmermann und ihren Mitstreitern, gäbe es die Murkelbühne, bei der Kinder- und Jugendliche kulturelle Bildung im besten Sinne genießen, schon seit Jahren nicht mehr. So aber startete mit der Premiere des »Letzten Vorhangs« als Eigenproduktion die 20. Spielzeit.

Die nächste Premiere im Dezember ist »Operette« von Witolt Gombrowicz. Vorher gibt es am 21. Oktober den 7. Kulturbrunch mit Theater, Musik, Filmen und mehr. Ein Schöneberger Restaurant liefert ein »schwäbisches Versöhnungsbüfett«. Das passt nach dem jetzigen Auftritt des »Kiezdichters Werner Anderson« samt seiner in Zeilen gehämmerten Provinzlerallergie.

»Letzter Vorhang«: 22.9., 19 Uhr, Murkelbühne, Greifswalder Str. 88 (Eing. Gebäuderückseite), Prenzlauer Berg, Tel. (030) 448 33 54, Informationen unter www.spiel-doch-selber.de

- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -