»Naivität braucht Mut«

Frie Leysen über das Festival »Foreign Affairs« und Hausbesuche bei Bürgern

  • Lesedauer: 5 Min.
International und interkulturell soll das Festival »Foreign Affairs« werden. Keine Bestenmesse des zeitgenössischen Theaters, aber vier Wochen des performativen Berührtwerdens durch die Welt verspricht Frie Leysen. Mit der erfahrenen belgischen Kuratorin - zuletzt Theater der Welt, danach die Wiener Festwochen - sprach TOM MUSTROPH.

nd: Sie haben im Vorfeld des Festivals dem Publikum Hausbesuche angeboten, um Ihr Programm vorzustellen. Wie haben die Berliner reagiert?
Frie Leysen: Ich habe mehr als zehn solcher Besuche gemacht, in verschiedenen Vierteln der Stadt bei ganz verschiedenen Menschen. Und das war sehr, sehr spannend. Ich glaube nicht, dass so etwas in Belgien funktioniert. Aber hier waren die Menschen so neugierig. Sie stellten so viele Fragen, auch kritische waren dabei. Das war wirklich bereichernd.

Und was haben Sie Ihren Gastgebern erzählt?
Ich habe versucht, zu erklären, was für mich ein Festival bedeutet. Die Künstler stehen im Mittelpunkt. Es geht um starke Persönlichkeiten mit starken Visionen, die sich ihre Texte selbst erarbeiten und nicht auf ein klassisches Repertoire zurückgreifen. Ich versuche auch, ein Festival machen, das komplementär ist zu den, was sonst in Berlin läuft. Es gibt hier zum Beispiel viel und gut gemachtes Sprechtheater. Das ist in Deutschland ohnehin so stark wie nirgendwo sonst. Unabhängige Produktionen haben es hier dafür vergleichsweise schwerer. Der Spalt zwischen klassischem Sprechtheater und zeitgenössischem Theater ist größer. Das spielte bei der Auswahl eine Rolle. Als ich zum ersten Mal vom Titel »Foreign Affairs« gehört habe, dachte ich zunächst an die smarten Jungs vom Außenministerium und Außengeheimdienst angelsächsischer Prägung, die die blutige Drecksarbeit in Kolonien und Postkolonien erledigen, damit die Eliten in der Heimat ungestört ihren Verrichtungen nachgehen können.

Diese Lesart haben Sie aber sicherlich nicht im Sinn gehabt?
Nein. Ich wollte zunächst mit spielzeit'europa, dem Vorgängerfestival, brechen. Ich wollte ein echtes, kompaktes Festival. Ich glaube an das Zusammentreffen von Menschen, an starke Charaktere und an die Funken, die die Begegnungen zwischen ihnen schlagen. Ich wollte auch nicht mehr nur über Europa reden, sondern über die Welt. Und dann gibt es ja noch die spielerische Lesart von Affäre. Das Festival begibt sich in eine Affäre mit der Zeit, in der wir leben und es setzt sich kritisch mit ihr auseinander. Die Welt ist ja nicht so schön, sondern oft ziemlich düster. Das sieht man dann auch in den Arbeiten der Künstler. Für mich ist aber überraschend, dass es jetzt viele Künstler gibt, die wieder eine positive Vision entwickeln und mit der Skepsis und dem Zynismus, die das letzte Jahrzehnt beherrscht haben, brechen.

Wenn man auf das Programm blickt, entdeckt man aber doch viel düstere Welterklärung, oder?
Die Welt ist ja auch düster! Aber Künstler wie Federico Leon, Kyohei Sakaguchi oder Fabian Hinrichs entdecken etwas anderes. Das ist vielleicht nicht gleich eine komplette Utopie. Aber sie haben den Mut, auf der Bühne die einfachen Fragen des Lebens zu stellen, sich zu ihrer Naivität zu bekennen und dabei nicht lächerlich zu wirken. Dazu braucht es Courage.

Ist für Sie nun das Helle, Optimistische oder das Düstere wichtiger?
Beides ist wichtig. Ich will nicht entscheiden, welche Sichtweise die richtige ist. Das ist nicht meine Rolle. Ich verstehe mich eher als eine Antenne, die versucht, aufzunehmen, was in der Luft liegt. Ich habe Angst vor dogmatischen Statements und Festivals, die nur eine einzige Sichtweise haben. Mir gefällt es, wenn unterschiedliche Positionen aufeinanderprallen und sich dann die Zuschauer eine Haltung dazu erarbeiten. Das ist spannend!

Machen Sie nun ein Künstlerfestival, auf dem Sie ganz unterschiedliche Persönlichkeiten miteinander konfrontieren, oder auch ein Publikumsfestival?
Beides natürlich. Die Künstler stehen für mich im Mittelpunkt. Ich finde, es ist wichtig, Künstlern die ökonomische, philosophische und ästhetische Freiheit zu geben. Wichtig ist aber auch das Publikum. Wir sind das Bindeglied zwischen Künstlern mit kraftvollen Visionen und einer Dringlichkeit, ihr Anliegen zu kommunizieren, und dem Publikum, das ins Theater kommt. Ich staune noch immer darüber, dass es so viele Leute gibt, die Zeit dafür finden, sich ihren Abend organisieren, Babysitter bestellen, sich frisch machen und dann einer Person ausgesetzt sind, die ihnen sagt: Seid jetzt zwei Stunden ruhig und hört mir zu! Aber wir brauchen das natürlich, diese Inspiration, diese neuen Gedanken.

Gehen Sie auch als Zuschauerin ins Theater oder vornehmlich als Festivalkuratorin, die lediglich guckt, welche Produktion ins welchen Präsentationskästchen passt?
Ich bin ganz klar Publikum! Und ich möchte nicht, dass das Publikum unterschätzt wird. Man kann am Abend müde sein nach der Arbeit, klar, aber auch dann ist das Gehirn doch nicht ausgestellt.

Und als Publikum, was wollen Sie da am liebsten sehen?
Alles! Das Festival ist das Resultat von ganz vielen Theaterabenden und Künstlerbegegnungen. Es ist auch das Resultat von dem, was ich nicht gesehen und wen ich nicht getroffen habe. Es ist nicht das Beste von allem, das es gibt. Es ist unvollständig, besteht aus Produktionen, die mich berührt, die mich inspiriert und manchmal auch zornig gemacht haben. Es ist ein Programm, das ich in dieser Zusammenstellung nur für Berlin gemacht habe - selbst wenn ich manchen Künstler, weil ich ihn schätze, auch woanders hinbringen möchte.

»Foreign Affairs«: 28.9.-26.10.


Frie Leysen ist Kuratorin des Festivals »Foreign Affairs« bei den Berliner Festspielen.

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