Retourkutsche für Morsleben

Der Standort Gorleben hatte vor allem das Pech, an der früheren innerdeutschen Grenze zu liegen

  • Reimar Paul
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Opposition sieht durch die bisherige Arbeit des Untersuchungsausschusses die Vermutung bestätigt, dass der Salzstock Gorleben als Atommüll-Endlager ungeeignet ist und nur aus politischen Gründen ausgewählt wurde.

Gorleben wurde nie nach einem wissenschaftlichen Verfahren als Endlager-Standort ausgewählt. Zwei Ereignisse verdeutlichen exemplarisch, dass Gorleben politisch durchgedrückt wurde: die Standort-Entscheidung der niedersächsischen Landesregierung Ende der 1970er Jahre und das 1983 von der Kohl-Regierung geschönte Gorleben-Gutachten.

Wollte Niedersachsens Ministerpräsident Ernst Albrecht (CDU), als er Gorleben Anfang 1977 als Standort für ein »Nukleares Entsorgungszentrum« benannte, vor allem die DDR ärgern? Ja, bestätigte der Geologie-Professor Gerd Lüttig kurz vor seinem Tod im Sommer 2010 dem »nd«. Albrecht wollte einen Standort in der Nähe der damaligen Grenze haben, »weil die Ostzonalen uns die Geschichte mit ihrem Endlager Morsleben eingebrockt hatten«. Morsleben, das nahe an der Grenze zu Niedersachsen liegt, war seit 1971 das Atommüllendlager der DDR. »Wir befürchteten immer, und das hat Herrn Albrecht auf die Palme gebracht, dass Morsleben eines Tages absaufen würde und radioaktive Wässer in Richtung Helmstedt fließen könnten«, sagte Lüttig. Der Ministerpräsident habe daraufhin erklärt: »Dann machen wir das auch.« Erst später habe Albrecht weitere Argumente für Gorleben hergeholt, erinnerte sich der Wissenschaftler. »Er hat gesagt, der Landkreis sei ja dünn besiedelt, und er sei vom Landkreis angesprochen worden, man solle doch da etwas machen, es käme doch dem Landkreis zugute.«

Lüttig war in den 70er Jahren Vizepräsident des niedersächsischen Amtes für Bodenkunde sowie der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe. Die Ämter stellten ihn für die Endlagersuche frei. 1972 erhielt er von der Kewa, der von den Energieversorgern geschaffenen Firma für die Atommüllentsorgung, den Auftrag, alle norddeutschen Salzstöcke zu untersuchen. Rund 100 der knapp 300 norddeutschen Salzstöcke wurden geprüft. Acht, darunter auch Gorleben, seien in die engere Auswahl genommen worden. Unter den drei schließlich zur näheren Erkundung vorgeschlagenen Salzstöcken war Gorleben aber nicht mehr. »Gorleben erschien uns als nur bedingt geeignet«, sagte der Geologe. »Es wurde genannt, weil es ein relativ großer Salzstock ist.«

Niedersächsische Kabinettsprotokolle belegen ebenfalls, dass es bei der Auswahl nicht mit rechten wissenschaftlichen Dingen zuging - auch diesen Dokumenten zufolge setze die Landesregierung wegen der »Zonenrandlage«, der hohen Arbeitslosigkeit im strukturschwachen Wendland und einer großen, nicht bebauten Fläche über dem Salzstock auf Gorleben. Wie aus den Protokollen und Vorlagen weiter hervorgeht, setzte Albrecht Gorleben damals gegen den Willen der Bundesregierung unter Kanzler Helmut Schmidt (SPD) durch. Der Bund habe »Schwierigkeiten für die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und der DDR« sowie Geldforderungen der DDR gefürchtet.

Schon 1983 wusste die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB) auf Grund der bis dahin erfolgten Bohrungen, dass der Gorlebener Salzstock als Atommüllendlager nicht geeignet ist. In ihrem Gutachten fielen dennoch alle Zweifel unter den Tisch - die damalige CDU-Regierung unter Helmut Kohl hatte offenbar interveniert. Die »Frankfurter Rundschau« deckte 2009 auf, dass zu der Besprechung des Gutachten-Entwurfs unerwartet auch Mitglieder der Kohl-Regierung erschienen waren. Sie forderten die PTB demnach auf, ihren bis dahin eher kritischen Zwischenbericht umzuschreiben.

Gorleben wurde also auf Weisung von oben schöngeredet. Atomkraftgegner konnten später die verschiedenen Entwürfe einsehen. Und fanden bestätigt, dass es zunächst keine Bestätigung der »Eignungshöffigkeit« Gorlebens gab. Dieser Begriff aus der Bergmannssprache besagt etwa, dass nach bisherigen Erkenntnissen die Feststellung der Eignung eines Standorts im Laufe der weiteren Untersuchungen möglich ist. Es gab aber Hinweise, dass die Experten den Salzstock für ungeeignet hielten. So hieß es, dass die über zentralen Bereichen des Salzstocks liegenden Tonschichten auf Dauer keine Kontaminationen von der Biosphäre fernhalten könnten. Mit Verseuchungen des Grundwassers müsse nach 600 bis 1170 Jahren gerechnet werden. Das gesuchte Atommüllendlager soll aber eine sichere Entsorgung für Millionen Jahre gewährleisten.

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