Die Freiheit der V-Mann-Führer
Berliner NSU-Untersuchungsausschuss vernahm »Ermittler« des Verfassungsschutzes
»Wir haben uns zu früh damit zufriedengegeben, dass die Polizei ermittelt und keinen rechtsradikalen Hintergrund vermutet.« Nordrhein-Westfalens Ex-Verfassungsschutzchef Hartwig Möller war betrübt ob des Unvermögens. Dabei sei doch die Arbeit seiner 300-Mann-Behörde überwiegend auf die Abwehr von Rechtsextremismus ausgerichtet gewesen.
Mehr noch. Liest man Möllers theoretische Auslassungen über die Gefahr des heraufziehenden Neonazi-Terrorismus' Anfang der 2000er Jahre, so hat er vieles richtig erkannt: den Fremdenhass, den Hang von Neonazis zu Waffen und Sprengstoff, dass sie Kleinstgruppen bildeten. Sogar dass es »Querverbinden nach Ostdeutschland« gibt, hat er vermerkt. Möller hatte durchaus auch das Prinzip des »führerlosen Widerstandes«, das auf Bekennerhinweise verzichtet, begriffen. Doch das alles war im Verfassungsschutzalltag wie weggewischt. Mit einer Einfältigkeit, die erstaunen lässt, sagt er noch immer: Man habe beim NSU-Bomben-Attentat 2004 in der Kölner Keupstraße keine Hinweise auf Motive und Täter gefunden, die Nachforschungen des Verfassungsschutzes ermöglicht hätten.
»Nicht nachgehakt« hat Möllers Dienst auch beim NSU-Mord am türkischen Kioskbesitzer Mehmet Kubaşık, verübt am 4. April 2006 in Dortmund. Über andere Anschläge weiß Möller ebenso wenig wie über erstaunlich sachdienliche Analysen des Bundesamtes, die man den geheimen Kollegen in Düsseldorf schickte, damit sie an die Polizei weitergereicht werden. Das unterblieb.
Brachte die Ausschussbefragung gar keinen Erkenntnisgewinn? Doch, ein Geheimnis gab der Ex-Geheimdienstchef preis. Es betrifft die Einstellung von Verfassungsschützern, insbesondere die von V-Mann-Führern. Letztere »machen ihren Job gerne wegen der relativen Freiheit, die sie dabei genießen. Sie fahren durch die Gegend, niemand kontrolliert, was sie tun.« Möllers Rezept dagegen: Man muss sie ab und zu mal wieder »in rechtskonforme Bereiche« zurückversetzen.
Nach der Befragung von Waffenexperten wurde (nach Redaktionsschluss) ein Direktor des BND als Zeuge aufgerufen. Das nährt die Hoffnung, dass der Ausschuss sich endlich auch dem internationalen Geflecht von Neonazi-Terroristen annimmt, das im Falle des NSU wohl von Südafrika über die Schweiz, Österreich und Tschechien bis nach Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt reicht.
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