Spaltung im Schnelldurchlauf

Das Zentrum Kalter Krieg am »Checkpoint Charlie«

  • Peter Kirschey
  • Lesedauer: 4 Min.

Sie wird gesucht in den Tiefen des Meeres, in unwegsamen Bergregionen, in dichten Wäldern - die Black Box. Nach Flugzeugkatstrophen soll sie Aufschluss geben, über das, was an Bord geschah, um so Rückschlüsse auf die Ursache der Tragödie ziehen zu können. Eine Black Box ist am einstigen Grenzkotrollpunkt in der Friedrichstraße niedergegangen, das »Zentrum Kalter Krieg«, das im Schnelldurchlauf Geschichte und Ursachen aufdecken soll. Was kann diese Black Box leisten zur Aufhellung einer dramatischen Periode von 1945 bis 1990, in der die Welt mehrfach nur Millimeter von einem atomaren Inferno entfernt war, an diesem historischen Platz, wo heute billige Jahrmarktstimmung die Szene bestimmt?

220 Quadratmeter ist sie groß - die Fläche eines Kleingartens. Was ist möglich auf so engem Raum? Gezeigt werden die bekannten Bilder und Tonaufnahmen. Stalin Churchill, Roosevelt, Potsdamer Abkommen, die Mauer, die Opfer, der entsetzliche Korea-Krieg von 1950 bis 1953 in 20 Sekunden. Chustschow, Ulbricht, Kennedy, sowjetische Raketen vor Kuba, der über der Sowjetunion abgeschossene US-Spionagepilot Garry Powers, Agentenaustausch auf der Glienicker Brücke, die Unterzeichnung der KSZE-Akte in Helsinki, die Volksaufstände, Walesa, der Fall der Mauer - schon ist man wieder draußen. Das helle Sonnenlicht hat einen wieder. Gleich daneben die gepflasterte Linie über die Friedrichstraße, die einst verfeindete Welten trennte. Unscheinbar. Kaum beachtet. Hier standen sich im Herbst 1961 amerikanische und sowjetische Panzer gegenüber. Die Amerikaner wollten keinen Krieg um die Mauer. Ein nervöser Finger am Abzug hätte genügt, um das Unvorstellbare auszulösen.

Besucher aus aller Welt konsumieren den Ort wie ein Kind, dem im Zoo Tiger und Elefanten präsentiert werden, das den Spatz im Gebüsch aber viel spannender findet. Sie stauen, haben Spaß, lassen sich vor der US-Barackenattrappe mit Kleindarstellern für zwei Euro fotografieren, wandeln von Bude zu Bude und befummeln die Gasmasken der fliegenden Händler. Die »originalen« Utensilien des Kalten Krieges - Fahnen, Uniformen, Schapkas, Orden haben eine nie versiegende Quelle - immer wieder werden sie in Berliner und Istanbuler Werkstätten nachproduziert.

Sven Hallström, Tourist aus Oslo findet Berlin deshalb spannend, weil seine Stadt immer gleich war, ohne Umbrüche und erregende Momente. »Hier war wirklich etwas los.« Für Miguel Sanches aus Mexiko ist bedauerlich, dass die Amerikaner hier gesiegt haben. Und Lehrer Werner Ullstein aus Mannheim findet, dass es hier ein Haus geben müsste, wo Leute aus der DDR ihre Geschichten vom Alltag erzählen. Es gab Flüchtlinge, es gab Gefängnisse, aber was haben die 17 Millionen Menschen jeden Tag gemacht, die im Osten gelebt haben? Das DDR-Museum? Der Lehrer winkt ab.

Wer sich als alter Ostler erst mal auf Diskussionen einlässt, der kann nicht mehr aufhören. »Operation Big Dog« - davon hat keiner der Besucher irgendetwas gehört. Und doch hat sie den Kalten Krieg in dramatischer Weise bestimmt. Es war 1948, als die in den USA gedruckte D-Mark über den großen Teich in die Westzonen kam und der Osten total abgehängt wurde. Die Währungsreform. Kein Ereignis danach hat die Spaltung so weit vorangetrieben wie dieses. Die Sowjetunion reagierte mit der Blockade - ein Fiasko. Es schweißte die Westberliner zusammen, gegen das sowjetische Lager, die Fronten verhärteten sich. Die Fundamente der Mauer waren gelegt.

Auch die Kuba-Raketen hatten ein Vorspiel: Missglückte Mordanschläge der CIA auf Fidel Castro, der von Amerika gesteuerte Überfall in der Schweinebucht. Kein Platz dafür auf so engem Raum. Atomwaffen Ost, Atomwaffen West - sie waren der Kitt im Gleichgewicht des Schreckens. Und es gibt sie heute noch in Deutschland, die atomaren Schreckensbringer. Wenn es richtig dumm läuft, könnten eben in diesen Minuten große Teile Deutschlands in einem atomaren Pilz versinken. Es grüßt der Fliegerhorst Büchel. Ungläubiges Staunen bei den Gesprächspartnern. Auch die Geschichte kennt keiner, der sich hier am Checkpoint fotografieren lässt.

Alles hat seine Vor- und Nachgeschichte. Doch man sollte von der Blackbox nicht zu viel verlangen. Erst wenn in ein paar Jahren das 3000-Quadratmeter-Museum an gleicher Stelle stehen sollte, dann wird man andere Maßstäbe anlegen müssen an die Betrachtung dessen, was einmal war im Kalten Krieg.

Zentrum Kalter Krieg, tägl. 10-22 Uhr, Friedrich- / Ecke Zimmerstr.

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