Norovirus oder Gift?
Die Zahl der Magen-Darm-Infekte bei Kindern steigt / Essenslieferant in Verdacht
Die Zahl der Durchfallerkrankungen bei Schülern in Berlin steigt. Bislang ging man von 600 Erkrankten aus. Doch nun müssen 2176 Kinder die Herbstferien mit Brechdurchfall beginnen. Auslöser sollen verunreinigte Essenslieferungen durch den Caterer Sodexo sein. Bestätigt wurde die Annahme allerdings noch nicht. Insgesamt sind allein in Berlin 82 Institutionen betroffen - davon 58 Schulen, 22 Kitas und zwei weitere Einrichtungen, teilten die Senatsverwaltungen für Gesundheit und Verbraucherschutz gestern mit.
Nach Angaben des Robert-Koch-Instituts (RKI) sind bundesweit über 6400 Kinder an einem Magen-Darm-Erreger erkrankt. »Wir rechnen mit einem Anstieg«, sagte die Staatssekretärin für Gesundheit, Emine Demirbüken-Wegner (CDU). Ob es sich tatsächlich um den Norovirus handelt, ist jedoch unklar. Laboruntersuchungen dauerten am Freitag noch an.
»Wir haben zwei Thesen: Entweder es sind Noroviren oder toxische Mittel«, erklärte Ingrid Jäger von der Senatsverwaltung für Verbraucherschutz. Es werde alles getan, um schnelle Ergebnisse zu liefern. Das sei allerdings erst Anfang nächster Woche möglich, da die Laboruntersuchungen Zeit erfordern. Unstrittig ist, dass nur Einrichtungen betroffen sind, die den gleichen Essenslieferanten haben. »Sodexo ist bei den Erkrankungen der gemeinsame Nenner«, bestätigte die Infektionsschutzbeauftragte des Landes, Marlen Suckau.
In Sachsen, wo bislang mehr als 2000 Fälle bekannt sind, wurden schon zum Teil Spuren von Noroviren entdeckt. »Wir können aber noch keine Gesamteinschätzung für alle Bundesländer geben«, so Suckau. Aus Sicht der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene könnten Salmonellen oder Noroviren Auslöser der Erkrankungen sein. »Auf jeden Fall muss es Hygienefehler bei der Produktion gegeben haben«, sagte Vorstandsmitglied Klaus-Dieter Zastrow.
Das Unternehmen in Rüsselsheim wies gestern trotzdem die Verantwortung von sich mit der Begründung, dass nur ein Teil der belieferten Einrichtungen Krankheitsfälle meldeten. Lediglich fünf Prozent der Abnehmer seien betroffen, so das Unternehmen. Obwohl noch keine konkreten Ergebnisse vorliegen, wurden nach genaueren Untersuchungen zwei Zulieferer in Reinickendorf und Lichtenberg geschlossen, teilte der Senat für Verbraucherschutz mit.
Erkrankungen wurden bisher in Berlin, Brandenburg, Sachsen und Thüringen bekannt. Erste Beschwerden traten schon am Dienstagabend auf und verliefen nach Angaben des Robert-Koch-Instituts »überwiegend unkompliziert«. In Berlin meldeten zehn Bezirke Erkrankungsfälle. Ausgenommen sind Neukölln und Spandau. Am häufigsten betroffen ist nach aktuellem Stand Marzahn-Hellersdorf mit über 500 Fällen.
»Wir haben nach Bekanntgabe der Erkrankungen eine Koordinierungsstelle im Gesundheitssenat eingerichtet«, sagte Demirbüken-Wegner. Es bestünden »enge Abstimmungen« mit allen Gesundheits- und Lebensmittelbehörden und weiteren Institutionen auf Landes- und Bundesebene, hieß es.
Die Senatsverwaltung für Bildung verschickte an alle Schulen und Kitas ein Schreiben, in dem sie Einrichtungen, die von Sodexo beliefert werden, empfahl, Speisen nicht anzunehmen. Betroffene Kinder und Eltern könnten sich außerdem an die bezirklichen Gesundheitsämter wenden. Über die Versorgung während der Betreuung in den Herbstferien soll am Montag informiert werden. Demirbüken-Wegner gab Eltern den Hinweis, ihren Kindern Mittagessen mitzugeben, bis eine Lösung gefunden werde. Tröstende Worte gab es von der Staatssekretärin auch: Glücklicherweise handle es sich um leichte Erkrankungen. Mehr als Streicheleinheiten zugeben, könnten Eltern nicht tun.
Sodexo
Die Sodexo Group ist ein in 80 Ländern tätiges Unternehmen und der zweitgrößte Caterer der Welt. In den USA und Australien beispielsweise versorgt Sodexo neben Schulen auch Militäreinrichtungen. In Deutschland betreibt das Unternehmen rund 50 Küchenstandorte in elf Bundesländern. Zu den Sodexo-Kunden in Berlin zählen etwa 150 Kitas und Schulen sowie 22 Kantinen.
Insbesondere durch die Geschäfte im Flüchtlingsbereich und der Gefängnisindustrie ist jedoch die Tochterfirma Sodexho-Pass in die Kritik geraten.
Bis 2003 zeichnete das Unternehmen in Deutschland für die Ausgabe der scharf kritisierten Wertgutscheine respektive Chipkarten verantwortlich, die an Flüchtlinge und Asylbewerber ausgegeben wurden. Mit diesen »Gutscheinen« konnten in einigen Supermarktketten Lebensmittel erworben werden. sal
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