Sehr, sehr schmerzhaft...

Die Marginalisierung der westdeutschen KPD - ein Beispiel

  • Andreas Herbst
  • Lesedauer: 4 Min.
Es war Sonnabend, der 16. Februar 1952. Käthe und Reinhold Popall, zwei bekannte Bremer Kommunisten, waren entsetzt. Ungeheuerliches stand in ihrer Parteizeitung, der »Tribüne der Demokratie«. Ein vom Sekretariat der KPD-Landesleitung Bremen abgesegneter Artikel griff in scharfem Ton die »Opportunisten«, »Parteifeinde« und »Agenten« generell und Reinhold Popall namentlich an. Wie in allen Landesverbänden der westdeutschen KPD gab es Anfang der 50er Jahre eine umfassende »Parteireinigung«. So wurde in Bremen das Sekretariat der Landesleitung abgelöst. Die Delegierten des offiziell in München, in Wirklichkeit aber in Weimar Anfang März 1951 tagenden Parteitages der KPD verabschiedeten eine Resolution mit 57 Thesen, in denen die Absetzung von Funktionären bis dato gerechtfertigt und die Richtung weiterer »Säuberung« vorgegeben wurde. Es ist das Verdienst von Hendrik Bunke, die damalige Situation in der Bremer KPD analysiert und die folgenreiche Entwicklung zur politischen Isolation der Partei generell in jener Zeit aufgezeigt zu haben. Er beleuchtet die Widersprüche, in die sich die Partei auf den verschiedenen Politik- und Organisationsfeldern, in der Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit sowie Friedens- und Kommunalpolitik zunehmend verstrickte. Für eine Gesamtgeschichte der KPD der alten Bundesrepublik, bislang kaum angemessen aufgearbeitet - ob als Objekt staatlicher Repression in der Bundesrepublik während des Kalten Krieges oder als Objekt rigider Einmischung und Bevormundung durch die SED-Führung in Ostberlin -, leistet Bunke einen außerordentlich wichtigen Beitrag. Gestützt auf ein umfangreiches Quellenmaterial, Sitzungsprotokolle des Landessekretariats, Instrukteursberichte, Berichte in Betriebszeitungen etc., zeichnet er den Weg der relativ einflussreichen Bremer KPD nach 1945 nach. Bei den Wahlen im Oktober 1946 erreichte sie 11,5 Prozent der Stimmen und stellte zwei Senatoren. Wie kam es zum Abstieg und schließlichen Aus? Dazu befragte Bunke auch Zeitzeugen, so Herbert Breidbach, Hermann Gautier, Willy und Tilla Hundertmark. Und da klingt an, dass vieles fremd-, aber auch selbstverschuldet war. Gestandene ehrliche Genossen wie etwa Käthe und Reinhold Popall, die berechtigte Zweifel und Kritik an der Entwicklung der KPD nach der 14. Parteivorstandssitzung von Ende 1949 artikulierten, wurden im Zuge der Anti-Tito-Kampagne der Kominform und SED attackiert und ausgegrenzt. Die Westkommission des SED-Parteivorstandes hatte nach der Bundestagswahl vom September 1949 energisch auf die »Säuberung« von »trotzkistischen Agenten aller Spielarten«, Neuwahlen der Parteileitungen und eine Überprüfung der Landesvorstände und ihrer Sekretariate gedrängt. Reinhold Popall, Jahrgang 1902, Schlosser, ab Ende 1932 im AM-Apparat der Partei, war 1936 zusammen mit Rudolf Bergtel, Erich Hanke, Wienand Kaasch, Wilhelm Knapp und Liesbeth Neubauer vor dem berüchtigten »Volksgerichtshof« Freislers angeklagt und zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt worden. Käthe Popall, geborene Fürst, die 1907 in Bremen das Licht der Welt erblickte, von Beruf Buchhalterin, seit 1922 Mitglied der SAJ und der SPD, am 1. Mai 1927 gemeinsam mit 13 weiteren Bremer Jungsozialisten in den KJVD übergetreten war, kam als junge Betriebsrätin der Bremer Jutespinner 1930 in das Abgeordnetenhaus der Bremer Bürgerschaft; ein Jahr später folgte sie Hans Lübeck, seit 1930 Mitglied des ZK des KJVD und nunmehr ihr Ehemann, nach Düsseldorf, später nach Halle und 1932 nach Moskau. Käthe Lübeck studierte an der Leninschule, kehrte 1933 nach Deutschland zurück und gehörte der illegalen Landesleitung der KPD an; von Adolf Rembte erhielt sie den Auftrag, die Frauenarbeit zu organisieren. Am 27. März 1935 wurde sie zusammen mit Adolf Rembte, Walter Griesbach, Robert Stamm und Max Maddalena verhaftet. Nach zweijähriger U-Haft, brutalen Verhören in der Gestapo-Zentrale in der Berliner Prinz-Albrecht-Straße wurde sie am 4. Juni 1937 wegen »Vorbereitung zum Hochverrat« zu zwölf Jahren Zuchthaus verurteilt. Nach zehn Jahren Haft, u.a. in Jauer und Schweidnitz, schlug für sie im Mai 1945 die Stunde der Befreiung während eines Evakuierungsmarsches in das Zuchthaus Waldheim. Sie kehrte nach Bremen zurück, wurde Frauenleiterin der KPD-Bezirksleitung und wieder Abgeordnete, amtierte gar als Vizepräsidentin des Bremer Parlaments. Im April 1946 Delegierte zum 15. Reichsparteitag der KPD in Berlin, wurde sie im August 1946 Senatorin für Gesundheitswesen unter dem SPD-Bürgermeister Wilhelm Kaisen. Im Januar 1946 heiratete sie Reinhold Popall. Die Anfang 1952 gegen ihren Mann und sie gerichtete Kampagne gipfelte im Vorwurf, beide hätten »zur Partei seit Jahren keine Verbindung, diffamieren Funktionäre der Partei und untergraben das Vertrauen zur Sowjetunion und zur DDR«. Ein Parteiverfahren mit dem Ziel des Ausschlusses ließ sich gegen Käthe Popall nicht so einfach durchsetzen. Ihre Wohnparteigruppe wandte sich dagegen, so kam es »nur« zu einer Rüge. Für Käthe Popall waren jedoch all diese Angriffe gegen sie und ihren Mann »sehr sehr schmerzhaft«, wie sie später formulierte. Bis 1956 blieb sie formal Mitglied der KPD, war jedoch politisch isoliert. 1967 verzog sie mit ihrer Familie in das Saarland, erst wenige Wochen vor ihrem Tod am 23. Mai 1984 kehrte sie in ihre Heimatstadt Bremen zurück.
Hendrik Bunke: Die KPD in Bremen 1945-1968. PapyRossa, Köln. 384S., 22,50 EUR.
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