Während gestern Ingo Wolf in Düsseldorf zum Nachfolger Jürgen W. Möllemanns als Landtags-Fraktionschef gekürt wurde, geriet in Berlin Ulrike Flach, seine langjährige Stellvertreterin im Parteiamt, in Erklärungsnot. Sie und Landesschatzmeister Andreas Reichel wussten nämlich über Möllemanns Wahlkampf-Flyer vor dessen Verbreitung Bescheid.
Zunächst drohte die 51-jährige Übersetzerin, die vor zwei Jahren Möllemann im Bundestag als Vorsitzende des Bildungsausschusses beerbt hatte, sogar mit Klagen. Der »Kölner Stadt-Anzeiger« hatte gestern (und die Nachrichtenagenturen vorab am Abend zuvor) gemeldet, »bereits vor Erteilung des Druck-Auftrages« für die 8,4 Millionen Flyer mit Attacken gegen Israels Premier Scharon und den Vizepräsidententen des Zentralrats der Juden in Deutschland, Friedman, habe Möllemann »auch seine Stellvertreterin Ulrike Flach informiert, die am 10. November zur neuen Landesvorsitzenden gewählt werden soll«. Jedenfalls nach dem Willen des amtierenden Landesvorstands, dem sich - wohl zähneknirschend - auch FDP-Chef Guido Westerwelle beugte. Er hatte dafür bekanntlich mit Andreas Pinkwart den anderen Möllemann-Vize ausgeguckt, der aber gerade deshalb in NRW nicht so populär sein dürfte. Zum Trost soll der nun Möllemann-Nachfolger als Westerwelle-Vize werden.
Als »infame Unterstellung« bezeichnete Frau Flach noch am Montagabend die Behauptung des Kölner Blattes. Obwohl die Meldung von der »Schwäbischen Zeitung« durch das Detail ergänzt wurde, Möllemann habe Flach und Landesschatzmeister Andreas Reichel am 11. September - also fünf Tage vor der landesweiten Postwurfsendung - in die Planung seines Flugblatts eingeweiht, »beim Bier«.
Reichel, der sich tagelang in die Pose eines Chefaufklärers gemüht hatte, den Flyer als »Privatsache« Möllemanns hinzustellen, und dazu auch ein sicher nicht gerade billiges professorales Gutachten bestellt hatte, sah sich schon vorigen Freitag gezwungen, zuzugeben, dass Möllemann ihn ins Vertrauen gezogen hatte. Kleinlaut bestätigte gestern nun auch Frau Flach, dass Möllemann sie und Reichel an jenem Tag informiert habe: Da seien die Flyer aber bereits von der Druckerei ausgeliefert gewesen, weshalb nicht die Rede davon sein könne, dass sie für die Aktion mitverantwortlich sei. Sie und Reichel hätten Möllemann sogar »dringend« davor gewarnt... Aber untätig zugesehen.
Denn die Post hat die Flyer erst ab 16. September in ganz NRW in die Briefkästen gesteckt. Just an jenem Montag habe sie die Bundespartei von Möllemanns Plänen informiert, sagt Frau Flach. Für die - entscheidende - Verzögerung hat sie eine besonders putzige Erklärung: Sie habe darauf vertraut, dass Möllemann selbst das FDP-Präsidium unterrichtet. Erst als das nicht erfolgte, sei sie aktiv geworden. Inzwischen räumte sie gegenüber Reuters sogar einen Fehler ein: dass sie und Reichel »nicht nachts noch zum Hörer gegriffen haben und dem Guido gesagt haben, hör mal, da kommt eventuell so etwas auf uns zu«. Was, vermag sie nicht zu sagen.
Eine angesichts dessen nahe liegende Erklärung für Frau Flachs Apathie gab deren frisch gebackener Abgeordnetenkollege Daniel Bahr zum besten. Der 25-jährige Chef der Nachwuchsorganisation JuLis, der auf Platz 13 der Landesliste noch in den Bundestag kam, weil die FDP in NRW - trotz oder wegen Möllemanns Fischen im trüben, rechten Rand des Wählerreservoirs - mit 9,34 Prozent das beste Ergebnis bei der Bundestagswahl erzielte, vermute, dass seine Landesvorsitzende in spe »die Brisanz des Flyers nicht bei dem ersten Erzählen erkannt hat, sondern erst dann wohl, nachdem der ausgedruckt war«. Hatte sie also doch schon viel früher von Möllemanns Plänen erfahren, nur nicht begriffen, was dahinter steckt?
Fragen über Fragen. Auch FDP-Sprecher Martin Kothé warf neue auf, als er gestern dpa auf Anfrage bestätigte, Frau Flach habe Westerwelle über den Flyer »vorab« informiert. Das erstaunt insofern, als der FDP-Chef selbst erst kürzlich öffentlich detailliert schilderte, wie er an jenem Montag bei einer Wahlkampfveranstaltung in München von Agenturmeldungen über den Flyer überrascht worden sei,
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Ich habe gedacht, es sei eine temperamentvolle Verirrung gewesen, und zu lange unterschätzt, dass er damit eine politische Strategie verbunden hat.
Guido Westerwelle am Montag in der n-tv-Sendung
»Maischberger« über Möllemanns antiisrealische Kampagne
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was Kothé bestätigen könne. Der erinnerte sich aber nun, dass Westerwelle schon auf Flachs »Geständnis« verärgert reagiert habe. Gestern fügte er freilich gleich noch hinzu, er sehe diesen Vorgang aber nicht als so gravierend an, dass die Vertrauensbasis zerstört sei.
Westerwelle bleibt eh keine Wahl. Er braucht einen Sündenbock für das Fiasko seiner »Strategie 18« bei der Bundestagswahl. Und dafür hat er sich mit allen anderen Beteiligten auf Möllemann geeinigt, auch denen, die noch vor kurzem dessen beste Freunde waren. So gratulierte gestern der FDP-Chef »herzlich« dem neuen Fraktionschef in Düsseldorf zum 14:9-Sieg in der Kampfabstimmung gegen Stefan Grüll. Möllemann-Getreue waren sie beide, wie Flach, Reichel und - zumindest bis zum Sommer - auch Pinkwart.
Nun ist alles anders. Während Wolf in Düsseldorf betonte, dass er kein »Strohmann« Möllemanns sei, sich aber nicht festlegen wollte, ob er aus der Landtagsfraktion ausgeschlossen werden soll oder nicht, griff die Bundestagsfraktion in Berlin zu drakonischen Repressalien: Dem rekonvaleszenten Urlauber, der dem Vernehmen nach Gran Canaria mit unbekanntem Ziel verlassen hat, um nun eine Kur anzutreten, haben die Parteifreunde jeglichen Platz in einem Ausschuss des Bundestags verwehrt, selbst als stellvertretendes Mitglied. So grausam kann Politik sein...