Dreifachbelastung ist zu viel

Vereinbarkeit Familie-Beruf - Tagung beleuchtete Unterschiede in Europa

  • Simone Schmollack
  • Lesedauer: 3 Min.
»Freie Marktwirtschaft und Kinder vertragen sich nicht«, behauptet der australische Neoliberale Peter McDonald. Und tatsächlich bleiben in Deutschland 40 Prozent der berufstätigen Akademikerinnen dauerhaft kinderlos. Eine Tagung der Friedrich-Ebert-Stiftung untersuchte dieses Phänomen.
Ewige Kinderlosigkeit bei Akademikerinnen widerspricht den realen Wünschen der Frauen, zeigt die aktuelle Shell-Studie zur Vereinbarkeit von Karriere und Kind. Doch Frauen reagieren zuerst, wenn sich der Arbeitsmarkt ändert: mit Geburtenverweigerung. Wurden 1962 in der Bundesrepublik noch durchschnittlich 2,72 Kinder geboren, sind es heute 1,53. Unabhängig von dieser demografischen Verschiebung steht die Frage nach der Chancengleichheit von Frauen und Männern. Nach wie vor bleiben Kindererziehung und Haushaltsführung vor allem ersteren überlassen. Doch genauso lange, wie Frauenverbände und -politikerinnen dagegen anzusteuern versuchen, verpuffen ihre Vorstöße im Nichts. Manchmal sind Frauen selbst daran schuld, sagte Karin Junker (SPD), Mitglied des Europaparlaments, auf der Tagung »Plus Kind Minus Karriere« am vergangenen Freitag in Berlin. »Frauen fordern zu wenig«, so die Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen. Die Duldsamkeit der Frauen habe mit dazu beigetragen, dass es in der Bundesrepublik heute so niedrige soziale Standards gebe. Dazu zählt Karin Junker mangelnde Betreuungsplätze, (noch) fehlende Ganztagsschulen sowie flexibel arbeitende Unternehmen. All das mache es Frauen schwer, Kinderwunsch und Karriere zu vereinbaren, obwohl sie heute meist die bessere Qualifikation mitbrächten. Im europäischen Gesamtvergleich hinkt Deutschland Junkers Worten zufolge »zynisch hinterher«. So seien in Frankreich und Belgien seit Jahrzehnten Ganztagsschulen und Vorschulklassen garantiert, auch in Großbritannien gebe es die Ganztagsschule sowie so genannte Frühstücksklubs und Nachmittagseinrichtungen. Die skandinavischen Länder seien bekannt für ihre progressive und zum großen Teil gut funktionierende Gleichstellungspolitik. Doch dort fühlten sich die Frauen wegen der seit einigen Jahren voranschleichenden sozialen Verunsicherung zunehmend unwohler, sagte Jouni Mykkänen, Vizevorsitzender des Gleichstellungsausschusses der finnischen Regierung. »Die Optionen für Familien am Arbeitsplatz werden zunehmend vernachlässigt«, so der frühere Journalist. »Die Zeit wird schnelllebiger, und es wird mehr zeitliche Präsenz am Arbeitsplatz gefordert. Darüber hinaus wird seelischer und emotionaler Druck auf Arbeitnehmer ausgeübt«, schilderte Mykkänen. Zudem grassiere ein neues Phänomen: Seit den 90er Jahren würden in der Regel nur noch junge Männer feste Arbeitsverträge erhalten, alle anderen nur Zeitverträge. So steige vor allem die Verunsicherung unter den jungen Frauen. »Ein politischer Impuls von außen ist nötig, um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf wieder auf die Agenda zu setzen«, sagte er. In Großbritannien könne eine Frau relativ unkompliziert arbeiten, solange sie nur ein Kind habe, erklärte die englische Wirtschaftsberaterin Liv Bavidge Obe. »Dann hat die Frau "nur" zwei Jobs: Kind und Beruf. Kommt das zweite Kind, muss die Frau drei Jobs erfüllen: Kind, Kind und Beruf.« Das sei den meisten zu anstrengend, sie stiegen aus dem Erwerbsleben aus. Außerdem fließe ihr volles Gehalt in die Kinderbetreuung. Ohnehin bekämen britische Frauen nur rund 80 Prozent der männlichen Gehälter. Französische Feministinnen sehen auf Grund der hohen weiblichen Erwerbsrate ihre Aufgabe momentan vor allem in der Bekämpfung körperlicher Gewalt gegen Prostituierte. Eine bessere Vereinbarung von Karriere und Kind sei Sache der Wirtschaft, so ihre Auffassung. Diese ist es denn auch, die neue Strategien entwickelt. So dezentralisierte sich IBM und verteilte die Arbeit auf vier verschiedene Standorte, wodurch sich Arbeitswege verkürzten. Andere Firmen holten Dienstleister wie Friseur und Reinigung unter ihr Dach. Wiederum andere »schenkten« Eltern freie Stunden, die sie mit ihren Kindern verbringen sollen, oder mieteten Plätze in Kindereinrichtungen an.
Zahlen & Fakten In der Europäischen Union ist die Zahl der erwerbstätigen Frauen von 51 Millionen 1985 auf 61 Millionen 1995 gestiegen. In Deutschland waren 1996 15 Millionen Frauen erwerbstätig (Quote: 42 Prozent), mehr als die Hälfte von ihnen waren teilzeitbeschäftigt (60 Prozent). In Großbritannien sind in diesem Jahr 72 Prozent aller Frauen, die Kinder haben, berufstätig. Nur 25 Prozent sind teilzeitbeschäftigt. In Frankreich stellen Frauen derzeit 44,8 Prozent der arbeitenden Bevölkerung. In Finnland sind in diesem Jahr 85,5 Prozent der Frauen zwischen 25 und 54 Jahren berufstätig.

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