Desinformation der Chemieindustrie

Mit einer einzigartigen Lobbykampagne will die Chemieindustrie Verbote gefährlicher Substanzen verhindern

Auch bei der Beschichtung von Pfannen kommen Ewigkeitschemikalien zum Einsatz.
Auch bei der Beschichtung von Pfannen kommen Ewigkeitschemikalien zum Einsatz.

Es ist eines der umkämpftesten Projekte auf EU-Ebene: die Regulierung der sogenannten Ewigkeitschemikalien. Im Januar 2023 brachten Fachbehörden aus mehreren Mitgliedstaaten den Vorschlag ein, Herstellung, Import und Verwendung dieser Substanzen mit wenigen Ausnahmen in der EU zu verbieten. Die Chemiebranche reagierte darauf mit einer einzigartigen Lobbykampagne.

Es geht um die Gruppe der per- und polyfluorierten Alkylsubstanzen (PFAS), die als gesundheitsgefährdend gelten und praktisch nicht abbaubar sind, wenn sie in die Umwelt gelangen. Da sie wasser- und fettabweisend sind, nimmt ihr Einsatz etwa in Sport- und Outdoorbekleidung, Teppichböden und Autositzen, Reinigungsmitteln und Lebensmittelverpackungen seit Jahrzehnten massiv zu. Neuere Schätzungen gehen von bis zu 12 000 solcher Substanzen aus. Es gibt auf UN-Ebene Versuche, möglichst viele dieser Chemikalien in die 2004 in Kraft getretene Stockholm-Konvention aufzunehmen und damit aus dem Verkehr zu ziehen. Da sich dies mühselig gestaltet, will die EU mit einer strengen Regulierung vorangehen.

Erfolgreiche Lobbyarbeit

Die Chemiebranche versucht, dies zu verhindern: »Die Industrie betreibt massive Lobbyarbeit bei EU-Entscheidungsträgern, um ihre Profite und PFAS-Produkte zu schützen, selbst angesichts der überwältigenden Beweise für die Schäden, die diese Chemikalien für Gesundheit und Umwelt verursachen«, erläutert Vicky Cann, Forscherin bei der Brüsseler Nichtregierungsorganisation Corporate Europe Observatory (CEO). »Besorgniserregend ist, dass die EU-Exekutive für diese Lobbyarbeit empfänglich ist, was die Befürchtung aufkommen lässt, dass die von der Leyen-Kommission letztlich den Forderungen der Industrie Vorrang vor dem Schutz der Menschen und des Planeten einräumen könnte.« In einem am Dienstag vorgestellten Bericht schreibt CEO, dass »die ursprünglichen Bestrebungen der EU-Kommission in letzter Zeit verwässert wurden, da Argumente für Wettbewerbsfähigkeit und Deregulierung nun den Diskurs dominieren«.

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Wie die Desinformation genau läuft, zeigt eine parallel vorgestellte Recherche des »Forever Lobbying Projects«, das von der französischen Zeitung »Le Monde« koordiniert wird. Mehr als zwei Dutzend Medienpartner aus 16 Ländern haben rund ein Jahr lang Tausende Dokumente ausgewertet. Ergebnis: Die Kampagne der PFAS-Industrie stützt sich in hohem Maße auf unbegründete Behauptungen, irreführende Studien und Panikmache. Das kommt gut an, gerade in Deutschland, das als »Brennpunkt des Kampfes« gilt: Laut CEO verstärken konzernverbundene Regionalpolitiker die Lobbyarbeit der Industrie. Während CDU und CSU schon lange für erhebliche Ausnahmen werben, wird auch die Position der Bundesregierung zunehmend unklar: Nach einem Chemiegipfel schrieb das Kanzleramt mit Bezug auf PFAS, man lehne »pauschale, undifferenzierte Verbote ganzer Stoffklassen« ab. Das von Robert Habeck (Grüne) geführte Wirtschaftsministerium sicherte intern der Branche zu, die wegen ihrer Antihaft-Eigenschaften häufig eingesetzten Fluorpolymere von Beschränkungen auszunehmen. Begründet wird das mit der von den Lobbyisten verbreiteten Behauptung, die OECD habe diese als nicht besorgniserregend eingestuft. Der Industrieländerclub hat nach eigener Aussage aber gar keine Bewertung von Fluorpolymeren durchgeführt.

Ewigkeitschemikalie im Rhein

Und so nimmt die Verschmutzung ihren Lauf: Im Rhein stellte Greenpeace an unterschiedlichen Stellen eine überhöhte Konzentration der Ewigkeitschemikalie Perfluoroctansulfonsäure fest. Alle im August und Oktober 2024 gesammelten Proben hätten Werte aufgewiesen, die bis zum Sechsfachen über dem Umweltgrenzwert liegen.

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