Schon wieder wird das US-Engagement für Bayer teuer. Der deutsche Pharmariese muss Opfer der Asbestverwendung entschädigen.
Erfolg bei einer Sammelklage hatten vergangene Woche in den USA mehr als 8000 Kläger, die mehrere Konzerne wegen der Verwendung hochgefährlicher Asbestpartikel vor Gericht gebracht hatten. Der Prozess im Bundesstaat West Virginia gilt als eines der umfangreichsten Produkthaftungsverfahren der amerikanischen Justizgeschichte. Da den mehr als 200 angeklagten Konzernen das Warten auf einen Mammutprozess zu ungewiss und PR-schädigend - und damit zu kostspielig - erschien, zogen sie eine außergerichtliche Einigung vor. Den Asbestgeschädigten wurden insgesamt drei Milliarden US-Dollar zugesprochen.
Mit auf der Anklagebank hatte sich auch der Leverkusener Bayer-Konzern befunden, der bereits vor sechs Jahren in Sachen Asbest vor Gericht angeklagt worden war. Jan Pehrke von der Coordination gegen Bayer-Gefahren - der Verein, der dem Verband Kritischer Aktionäre in Deutschland angehört, informiert über die Machenschaften des Chemie- und Pharmariesen - erklärte, es sei »ein Skandal, dass Asbest-Kranken in der Bundesrepublik nicht die gleichen juristischen Wege offen stehen wie ihren Leidensgenossen in den USA«. Der Multi solle, um ein Mindestmaß an Verantwortlichkeit an den Tag zu legen, dem Beispiel des Energiekonzerns RWE folgen und ein Nachsorgeprogramm einrichten; dieses bietet den Betroffenen medizinische Betreuung an.
Der Verein wies außerdem darauf hin, dass der Höhepunkt der Sammelklagen bei jährlich rund 2500 Neuerkrankungen noch nicht erreicht sei. Ein Großteil der Asbestopfer sei in der Bauindustrie, bei Herstellern von Reifen für Fahrzeuge und Maschinen sowie bei Chemieunternehmen mit den lebensgefährlichen Partikeln in Berührung gekommen. Zu den häufigsten Erkrankungen gehörten Asbestose (Staublunge) sowie Lungenkrebs. Im vergangenen Jahr hätten in der Bundesrepublik 768 Betroffene Anträge auf Anerkennung asbestbedingter Krankheiten gestellt, während 135 Menschen an ihrer Asbesterkrankung gestorben seien. Zwischen 1950 und 1989 seien in der Bundesrepublik offiziellen Angaben zufolge 1417 Arbeiter an den Folgen von Asbest gestorben, 3557 seien erkrankt. Obwohl die Gefahren für Menschen seit Jahrzehnten bekannt sind, habe es in Deutschland erst im Jahr 1989 ein Asbest-Verbot gegeben, kritisiert der Verein. Von Bayer selbst liegen keine genauen Angaben über die Zahl seiner geschädigten Mitarbeiter vor.
Auch in den USA ist das Problem seit langem bekannt. Bereits im Jahr 1918 weigerten sich Lebensversicherungen, Asbest-Arbeitern Policen zu verkaufen. Mitte der 60er Jahre wurden in einer Sonderausgabe der Fachzeitschrift »Journal of the American Medical Association« letzte Zweifel an der Asbestgefahr ausgeräumt. Trotzdem gelang es den Konzernen und ihren Lobbyisten immer wieder, weit reichende Gesetzentwürfe zum Arbeitsschutz zu verhindern oder zu verwässern. Der »Fairness in Asbestos and Compensation Act« - ein Gesetz, das der US-Kongress 1999 verabschiedete - ist ein Paradebeispiel dafür, wie Industriekreise über Lobbyisten und Wahlkampfspenden ihr eigenes Gesetz schreiben können. Das Gesetz schränkt die Definition von durch Asbest verursachten Krankheiten erheblich ein, schließt dadurch ehemals Anspruchsberechtigte aus und bürdet darüber hinaus den Opfern die Beweislast auf. Der Gewerkschaftsdachverband AFL-CIO und der amerikanische Anwaltsverband protestierten scharf gegen das Gesetz - doch ohne Erfolg.
So ist in den USA bis heute die Entschädigung dem freien Markt überlassen, dazu zählt auch die Gerichtsbarkeit. Gegen die wirtschaftliche Macht der Konzerne, die aus dem berühmten Idealbild der »Checks and Balances« (Gewaltenteilung) im politischen System der USA eine Farce macht, haben sich indes Gegenlobbies gebildet, die ihrerseits mit den Anliegen von Geschädigten wachsen und eine eigene Industrie gebildet haben - Anwaltsfirmen, die auf der Grundlage von Sammelklagen beträchtliche Prozente der Kompensationszahlungen einstreichen. Einem Bericht des privaten Rand-Instituts vom September dieses Jahres zufolge haben US-Firmen seit den frühen 70er Jahren 54 Milliarden Dollar in über 600000 Asbestklagen bezahlt, und mehr als 60 Firmen erklärten unter der Last der Entschädigungen ihren Bankrott. Die Summen könnten sich in der Zukunft auf insgesamt 210 Milliarden belaufen, schätzt das Institut. Oftmals würden die »Mittelsmänner« zwischen Konzernen und Opfern 30Prozent und mehr der eingeklagten Kompensationszahlungen erhalten.
Nach den jüngsten Kongresswahlen, bei denen die rechten Republikaner in beiden Parlamentskammern eine Mehrheit erreichten, kündigte der wichtigste Lobbyist der US-Handelskammer, Bruce Josten, an, die Republikaner würden demnächst »die Multimilliarden-Dollar-Klagen gegen Asbesthersteller ins Visier nehmen«. Gezielt wird nicht nur auf die in antisemitischer Manier der Geldgier bezichtigten »Advokaten«, sondern auch auf die Geschädigten - zum Wohle des »freien Marktes«.
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