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»Schneewittchen« soll Jobs, Geld und Energie bringen

Neues Gasfeld wird in der Barentssee erschlossen/Umweltschützer protestieren

  • Andreas Knudsen
  • Lesedauer: 4 Min.
Europas führender Öl- und Gasförderer Norwegen hat die Erschließungsarbeiten für ein neues Gasfeld mit dem märchenhaften Namen »Snøhvit«, zu deutsch Schneewittchen, begonnen. Der Name ist nicht nur den Gewinnerwartungen zuzuschreiben, wenn das Feld 2006 eröffnet wird, sondern vor allem dem Umstand, dass es an der nordnorwegischen Barentsseeküste liegt, die nur wenige Sommermonate lang schneefrei ist.
Obwohl das Projekt in Norwegen generell unter dem Namen »Snøhvit« bekannt ist, geht es nicht nur um ein, sondern um drei neue Gasfelder, zu denen auch »Albatros« und »Askeladd« (Aschenputtel) gehören. Die Felder liegen etwa 160 Kilometer entfernt von der Küste und werden ihr logistisches Zentrum in der Stadt Hammarfest unweit des Nordkaps haben. Die Stadt hat heute rund 9000 Einwohner. Es wird erwartet, dass sich die Einwohnerzahl in der vierjährigen Bauphase um 2000 erhöhen wird. Für Hammarfest und die gesamte Finnmark, wie Nordnorwegen genannt wird, beginnt mit »Snøhvit« das Ölzeitalter, dessen Dauer auf 50 bis 100 Jahre geschätzt wird. Ob die kleinen Gemeinden, die bisher eine stabile Bevölkerung hatten, auf den Zustrom von auswärtiger Arbeitskraft vorbereitet sind, ist zu bezweifeln. Die Lokalzeitung »Nordlys« (Nordlicht) wählte eine Überschrift »Wir werden alle superreich!«, doch eine Übersicht zeigt, dass nur 1,5Prozent aller Verträge mit einem Wert von 90 Millionen Euro, die die Felderschließungen betreffen, Firmen aus Nordnorwegen zugefallen sind. Das Gesamtbudget beträgt immerhin rund acht Milliarden Euro. Wie wohl bei jedem Projekt dieser Größe werden die tatsächlichen Kosten jedoch höher sein. Langfristig wird die Gemeinde etwa 400 neue Arbeitsplätze direkt in der Gasindustrie bekommen. Auch das Interesse von finnischer Seite ist groß. Nordnorwegen ist dünn besiedelt und Finnland nicht weit, so dass die finnische Handelskammer bereits ein Büro im Hammarfest eröffnete. 2000 Finnen haben Interesse bekundet, für »Snøhvit« arbeiten zu wollen. Die drei Felder wurden bereits 1984 von Geologen entdeckt und enthalten hauptsächlich Gas mit kleinen Mengen Kondensat, aus dem Leichtöl gewonnen werden kann. Bereits 1991 begann die norwegische Ölgesellschaft Statoil mit Untersuchungen zur Felderschließung, die jedoch aus Kostengründen eingestellt wurden. Doch die steigenden Weltmarktpreise für Öl und Gas haben die Voraussetzungen attraktiv gemacht. Erwartet wird, dass die Förderung einen Wert von rund 30 Milliarden Euro haben wird und »Snøhvit« etwa zehn Prozent der norwegischen Gasreserven enthält. Obwohl Statoil der Betreiber und für die Durchführung des Projektes verantwortlich ist, handelt es sich bei »Snøhvit« nicht um ein rein norwegisches Unternehmen, denn die spanische Petoro sicherte sich 30Prozent der Lizenzen, die deutsche RWE-DEA einen Anteil von knapp drei Prozent. Technologisch sind die Felder Neuland, denn es wird keine traditionellen Bohrplattformen geben. Auf dem Meeresgrund in 250 bis 345 Meter Tiefe werden Bohranlagen verankert, die untereinander und mit dem Festland durch Rohrleitungen verbunden sein werden. Die Steuerungsanlage wird in Hammarfest stehen, wo auch der Terminal für die Gasschiffe gebaut wird. Für den Transport werden spezielle Tankschiffe benötigt, denn das so genannte LNG-Gas wird kräftig gekühlt und dann verflüssigt transportiert. Zusammen mit Statoil hat der deutsche Linde-Konzern ein neues Konzept zur Verflüssigung entwickelt, dass das bisherige amerikanische Monopol auf diesem Gebiet bricht. Die gegenwärtigen Berechnungen gehen davon aus, dass die Schiffe mit etwa 70 jährlichen Reisen 4,2 Millionen Tonnen Gas transportieren werden. Die norwegischen Firmen erwarten, dass das Snøhvit-Unternehmen ihnen umfangreiche Erfahrungen auf dem komplizierten LNG-Gebiet vermitteln wird, die sich global bei anderen Erschließungs- und Betreibungsarbeiten auszahlen wird. Erwartet wird unter anderem, dass auch im russischen Kontinentalschelf der Kolasee und des Weissen Meeres ähnliche Projekte in Gang gesetzt werden. Im Gegensatz zu den euphorischen Zeitungsmeldungen und turmhohen Erwartungen der Regierung sind nicht alle Norweger dem Gasrausch verfallen. Eine Reihe norwegischer und internationaler Umweltorganisationen wie Bellona, der norwegische Naturschutzbund, Jugend und Natur sowie WWF und Greenpeace haben ihre Bedenken geäußert. Sie betrachten die gegenwärtige Technologie als nicht ausgereift genug und verweisen auf die katastrophalen Folgen möglicher Havarien für die Barentssee und deren reiche Fisch- und Vogelbestände. Einige Aktivisten von Jugend und Natur besetzten im Sommer, als die Bauarbeiten in Hammarfest begannen, Teile des Bauplatzes, um einen Baustopp zu erzwingen. Die linkssozialistische SV-Partei unterstützt die Kampagne gegen die Snøhvit-Erschließung, mit dem Ziel, die Barentssee insgesamt unter Schutz zu stellen. Befürchtet wird, dass mit der Erschließung eine der letzten Wildnisse Europas für die industrielle Ausbeutung freigegeben wird. Hinzu kommt, dass der norwegische Ausstoß an Kohlendioxid durch »Snøhvit« um zwei Prozent erhöht wird. Nach Ansicht von Bellona sollte eine Nichterschließung der Felder ein wesentlicher norwegischer Beitrag zur geringeren Anwendung fossiler Brennstoffe sein und die Entwicklung besser auf umweltfreundliche Alternativen gelenkt werden. Doch allen Protesten zum Trotz schreiten die Bauarbeiten voran. Der norwegische Ölfonds, der gegenwärtig etwa 80 Milliarden Euro enthält und Norwegens kommenden Generationen einen hohen Lebensstandard sichern soll, muss nach Ansicht von Regierung, Ölunternehmen und der Mehrheit der Norweger weiter aufgefüllt werden.

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