Nicht länger irgendwo im Nirgendwo

  • Stefan Tesch
  • Lesedauer: 5 Min.
Über vier Kreis- und drei Regierungsbezirksgrenzen hinweg gründeten acht mittelsächsische Kommunen mit 85 Dörfern und Ortsteilen die Modellregion »Klosterbezirk Altzella«. Ein Bürgermeisterrat hat den Hut auf.
Stiege Bürgermeister Veit Lindner aus Roßwein im Landkreis Döbeln wie ein mittelalterlicher Ritter auf seinen schönen Rathausturm, um sein Ländle zu inspizieren, brächte ihm das nicht viel. Schon zwei Kilometer südwärts beginnt der Landkreis Mittweida und damit der Chemnitzer Regierungsbezirk. Drei Kilometer gen Ost dagegen stößt sein Blick auf Meißener Land, mithin den Regierungsbezirk Dresden. Wie er konnten auch seine Nachbarn in Heynitz, Ketzerbachtal, Niederstriegis, Nossen, Reinsberg, Siebenlehn, Striegistal oder Tiefenbach lange »ein Klagelied darüber singen, wie sehr man in solcher Randlage in der Luft hängt«, erzählt der Tiefenbacher Kämmerer Frieder Lomtscher. Dabei bildet ihr traditionell agrarisch-kleingewerblich geprägter Raum, in dem sich die Kreise Döbeln, Freiberg, Meißen und Mittweida treffen, sogar die Mitte Sachsens. Doch wegen jener administrativen Zerrissenheit liege man für auswärtige Investoren doch nur »irgendwo im Nirgendwo«, bedauert Lindner, der zwar parteilos ist, die 8000-Seelen-Stadt seit 2001 aber mit SPD-Mandat regiert. Ein abschreckendes Beispiel lieferte Ende der 90er Jahre der Versuch einiger »Grenzbürgermeister«, mit einem übergreifenden Mittelstandsworkshop das ganze »Dreiländereck« zu pushen. Man einigte sich auf Roßwein, beantragte drum in Döbeln nötige Förderspritzen. Doch als man im Landratsamt erfuhr, von den Geldern sollen auch »Auswärtige« profitieren, war das Gespräch beendet. Man verwies nur auf das Regierungspräsidium in Leipzig, wo sich das Spiel wiederholte. Mithin konnte es nicht so weitergehen in der Region, in der auch drei Tourismusverbände, sechs Planungsverbünde und drei Flussmeistereien aufeinander treffen. »Hilfe kam von der sächsischen Landesregierung«, erzählt Dr. Egon Mertke, der seit Jahren in der Problemregion Gewerbegebiete zu vermarkten sucht. Dank höherer Warte halfen die Dresdener nicht nur beim Workshop, das Landwirtschaftsministerium schob gleich noch ein Modellprojekt für die zerrissene Region an. Dessen ungewöhnlicher Name »Klosterbezirk Altzella« entlehnt sich der historischen Struktur um das 1162 gestiftete Zisterzienserkloster bei Nossen. Lomtscher hält ihn für sehr glücklich gewählt, denn lange Zeit seien gerade die Dörfer dieser von viel Natur, dörflicher Stille und kleinstädtischem Ambiente geprägten Region eng mit dem Kloster verbunden gewesen. Der Name soll eine Marke werden. Gleich neun Bürgermeister setzen dazu im Jahr 2000 ihre Namen unter ein Ent- wicklungs- und Handlungskonzept für die Grenzregion. Zusammen vertreten sie fast 33000 Einwohner in rund 85 angegliederten Dörfern und Ortsteilen. Erklärtes Ziel sei es gewesen, so Lutz Grübler, Bürgermeister von Ketzerbachtal (Kreis Meißen), »die Kirchturmpolitik zu verlassen«, stattdessen ein Wir-Gefühl zu entwickeln. Koordinierend wie vorausschauend erarbeite man gemeinsame Zukunftsansätze und verhindere so gegenläufige Entwicklungen an den Schnittstellen, wie die Konkurrenz von Gewerbegebieten oder Tourismusvorhaben, fügt der ehrenamtliche Gemeindechef Uwe Hessel aus Heynitz hinzu. Und das geschieht offenbar auch deutlich parteiübergreifend. Obwohl Hessel der CDU angehört, hatte er im Jahr 2001 für eine von der PDS unterstützte Bürgerinitiative kandidiert. Man wolle die Grenzen nicht niederreißen, nur durchlässig machen, sofern sie sich als Nachteil und Entwicklungshemmnis erweisen, erläutert Lindner. Der Bürgermeisterrat der Modellregion gründete hierfür fachspezifische Arbeitskreise und schob erste konkrete Projekte an. »Das sind keine großen Investitionsvorhaben, eher Konzepte für politisch abgestimmtes Agieren - sowohl in der Region und bei der Außenvermarktung«, so Mertke, den der Klosterbezirk 2002 als Projektmanager engagierte. Sein Gehalt überweise jedoch zu 80 Prozent Dresden, verrät er. Das restliche Fünftel müssten die Kommunen nach einem Einwohnerschlüssel beisteuern, erläutert Lomtscher. Das sei manchmal hart in diesen knappen Zeiten, dennoch stehe dieser Betrag in seiner Gemeinde nicht zur Disposition. Einerseits sei es erfolgversprechender, für den gesamten Klosterbezirk gemeinsam auf Investorensuche zu gehen, ist der Tiefenbacher überzeugt. Andererseits flössen deshalb mehr Fördergelder in die Region. Als vorzeigbare Ergebnisse nennt Mertke unter anderem, die Vernetzung und Ausschilderung der Wanderwege sowie ein verbessertes Regionalmarketing durch Imagebroschüren, Internetplattform, gebündelte Kultur- und Veranstaltungsofferten, gemeinsame Gewerbe- und Blumenschauen sowie die erste Wander- und Radwanderkarte für den Klosterbezirk Altzella. Avisiert sind auch neue Ausbildungs- und Arbeitsplätze und kürzere Wege zu Freizeitaktivitäten in den anderen »Klostergemeinden«. Fraglos ein mühsamer Weg, wie sich bei einem einheitlichen Schulkonzept über vier Kreisgrenzen zeigt. »Auch hier dürfen konsensfähige Lösungen nicht an administrativen Barrieren scheitern«, denkt der Roßweiner Bürgermeister und gibt zu: So wie ihm das Gymnasium im nur zehn Autominuten entfernten Nossen wichtiger sei als das in seiner Kreisstadt Döbeln, mache sich auch sein Nossener Amtskollege Hans Haubner (CDU) mehr für die Förderschule in Rosswein stark als für jene in seinem Kreissitz Meißen. Denn gerade für Kinder aus entlegeneren Dörfern sei es oft eine Zumutung, zur Schule und wieder heimzukommen. Leider scheitere hier aber vieles noch an Plänen des Öffentlichen Personen-Nahverkehrs. Hilfe soll nun auch von einem neu gegründeten Förderverein Klosterbezirk Altzella kommen, dem neben den Kommunen Privatpersonen, Firmen und Vereine angehören. Mittlerweile bewegen sich auch innerhalb des Klosterbezirkes die Strukturen. Heynitz gehört jetzt zu Nossen und Großschirma kam ganz neu hinzu. Es schluckte das überschuldete Städtchen Siebenlehn und wurde hierfür selbst zur Stadt erhoben. Es ist der erste Fall in Sachsen, dass eine Stadt in ein Dorf eingliedert wurde. www.klosterbezirk-altzella.de

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