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  • Kultur
  • Einstweilige Verfügung gegen „Laras Tochter“

Was würde Pasternak sagen?

  • Lesedauer: 3 Min.

Da hing das Werbeplakat für den Roman „Laras Tochter“ von Alexander Mollin nun schon beinahe an jeder Bushaltestelle. Und nun hat, wie dpa am Mittwoch meldete, das Landgericht Mannheim die weitere Auslieferung des Buches und die Werbung dafür per Einstweiliger Verfügung untersagt. Freilich hat C. Bertelsmann, wie dort zu erfahren war, in der vergangenen Woche bereits 140 000 Exemplare an den Buchhandel geliefert, der von dem Gerichtsbeschluß nicht betroffen ist. Wenn der Münchner Verlag mit seinem Antrag auf Aufhebung der Einstweiligen Verfügung keinen Erfolg hat, dürfte er keine Nachauflage machen, aber für den Anfang hätte der Prozeßgegner, das Mailänder Verlagsunternehmen Feltrinelli, dem Roman eine großartige Werbung verschafft.

Feltrinelli besitzt seit 1970 die Rechte an „Dr Schiwago“ von Boris Pasternak (1890 -1960) und sieht in „Laras Tochter“ eine Urheberrechtsverletzung. Ja, sollte denn der

berühmte Roman, für den der russische Schriftsteller 1958 den Literatur-Nobelpreis erhielt, hier irgendwie kopiert worden sein? Was würde Pasternak dazu sagen? Müde abwinken wahrscheinlich. Das hätte er gewiß auch getan, wenn er die rührselige Verfilmung mit Omar Sharif 1966 noch hätte sehen können. Alexander Mollin hat nicht den Roman, sondern den Film weitergesponnen. Ausgehend von jener Szene, als Dr Schiwago und Lara, seine große Liebe, einander einen letzten Blick zuwarfen, hat er sich die dramatische Geschichte von Laras Tochter und Schiwagos Sohn ausgedacht. Man kann es für eine Unsitte halten, wenn berühmte Werke der Weltliteratur auf diese Weise „fortgeschrieben“ werden. Es ist ein Tribut an den trivialen Lesergeschmack, an den Wunsch, liebgewordene Gestalten nicht verlassen zu müssen.

Warum hat es bei den „Fortsetzungsromanen“ zu „Vom Winde verweht“ und „Rebecca“ keine juristischen Konse-

quenzen gegeben? Weil sich ihre Autoren, bevor sie schrieben, mit den Erben geeinigt haben. Das'heißt, sie haben gezahlt. Pasternaks Familie soll Mollin Glück gewünscht haben. Transworld London, der Originalverlag von „Lara's Child“, hat Feltrinelli 1993 informiert, das Manuskript vorgelegt und das Buch in England auch völlig unbehelligt verkaufen können. Denn das dortige Urheberrecht ist anders als hier Folglich hat Feltrinelli halt nur in Deutschland geklagt.

Die Mailänder meinen, das Wettbewerbsrecht würde verletzt, weil sich die Herausgeber mit dem neuen Werk den Welterfolg von „Dr Schiwago“ zunutze machten. Ach, leider, so wie der Buchmarkt funktioniert, könnte es ja auch andersherum sein: Die Leute lesen „Laras Tochter“ im Kurier als Fortsetzungsroman und kaufen sich dann vielleicht „Dr Schiwago“ - in der irrigen Hoffnung, das sei so richtig schöne, seichte Unterhaltungslektüre.

1RMTRAUD GUTSCHKE

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