- Kultur
- Ein Roman von KERSTIN JENTZSCH
Götter und Leser ratlos
Wer von Literatur etwas mehr erwartet als hin und wieder „So ist es“ oder „So wars“ zu denken, kann Kerstin Jentzschs Buch nach der knappen Hälfte aus der Hand legen. Mehr als ein Hauch von Kolportage durchzieht das über 400 Seiten starke Werk. Es wird buchstäblich alles aufgerufen, was im deutsch-deutschen Verhältnis so deckenlastig wirkt. Aber es ist kein bißchen Verwandlung und Verzauberung im Schreibflusse, ohne die Kunst, und sei sie noch so bescheiden, nun mal nicht auskommt. Insofern ist das Buch von Kerstin Jentzsch, 1964 in Berlin geboren, nicht mal eine Talentprobe.
Dabei hätte die Geschichte ihrer Heldin Lisa 'Meerbusch das Zeug zur handfesten literarischen Erkundung der jüngsten Gegenwart gehabt. Denn die gelernte Lehrerin, Tochter eines in jedem Wortsinne parteiischen Richters in der DDR und einer zwischen Realismus und Anpassung hin und her getriebenen Journalistin, lebt irgendwie im Wartestand, als die deutsche Einheit hergestellt wird: auf das richtige Leben, auf den richtigen Mann, auf das richtige Geld bzw das, was
Kerstin Jentzsch: Seit die Götter ratlos sind. Roman. Verlag DAS NEUE BERLIN. 417'S., geb., 29.80DM.
sie sich davon verspricht. Lisa Meerbusch gerät in jenen geistigen Ausnahmezustand, den die meisten im Osten durchmachten. Sie hat Mühe, hinter gut gemachter westlicher Äußerlichkeit die wesentlichen Dinge zu erkennen. Sie muß zudem die tiefen Beschädigungen in der eigenen, nach außen lange gut funktionierenden Familie erfahren. Der Platz ihres Ausweichmanövers heißt Kreta, wo sie der eigenen Erfahrungen'“ längsam “ inrie wird und sich zu einem neuen Selbstverständnis durchgräbt, frei von der Orientierung an dem Imponiergehabe und Rollenverständnis anderer.
Daß einem dies alles dennoch nicht recht nahe geht, liegt zum mindesten an den ausgedacht wirkenden Figuren des Buches, die bestenfalls Typen sind, kein bißchen individuell gezeichnet. Außer ihrem alter ego Lisa Meerbusch nimmt die Autorin eigentlich niemanden ernst. Alle sind, wie sie eben sind, und so blei-
ben sie auch. Das wirkt ermüdend, man weiß eigentlich von Anfang an, wie alles ausgehen wird.
Offenbar hatte auch der Verlag Bedenken, dem Leser nur die Mühe einer einzigen Ebene zuzumuten und griff zum formalen Mittel. Alle Stellen, die halbwegs als innerer Monolog durchgehen könnten, sind oftmals innerhalb der Absätze - kursiv gesetzt. Was dann zur Hervorhebung solcher Banalitäten wie „Früh könnte ich Rührei nie essen“ oder „Einem Ehekrach zu lauschen, ist nicht mein Ding“ führt. Vielen Dank. Wo keine Gedanken sind, sollte man auch keine hervorheben wollen.
Gipfel der Peinlichkeit und ohne alle Funktion sind die Gespräche der griechischen Götter über die Zustände in der DDR. Zeus, aus unerfindlichen Gründen Motorfreak und an der Harley Davidson bastelnd, redet über Lisa Meerbusch und Zwangsadoptionen. Manchmal ergreift in dem Buch auch noch Alexis Sorbas Partei. Zeit und Raum sind hoch und weit bei Kerstin Jentzsch. Aber immer und überall kennt man die DDR. Wie tröstlich.
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