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Der Osten wurde ausgeplündert und der DFB schaute zu

Rolf-Jürgen Otto, Präsident von Dynamo Dresden, fährt schwere Geschütze auf

  • Lesedauer: 9 Min.

Foto: Camera 4

Präsident Otto, Trainer Held

Er kam aus dem Westen, stieg in Dresden ins Baugeschäft ein und feilschte um den Präsidenten-Job bei Dynamo Dresden. Es gab da viele, die in der üblichen Schablone dachten: Ein Mann, der mit dem Fußball absahnen will. An diesem Bild hat Rolf-Jürgen Otto nicht mitgemalt. Ohne ihn - eine hypothetische Feststellung - würde Dynamo Dresden nicht mehr in der Bundesliga sein. „Natürlich bin ich ein Kapitalist im Sinne des Systems. Aber ich habe im Geschäft nur zwei aus dem Westen, meinen

Statiker und meinen Polier. Alle anderen sind von hier. Das sind rund 500. Wir zahlen auch zu 90 Prozent nach Weststandard.“ Sagt Otto.

In den letzten Wochen geriet er wieder in die Medien, weil er dem Deutschen Fußballbund in einem offenen Brief die Schuld am Niedergang des ostdeutschen Fußballs zuschrieb. Damit eckte er an. Im Osten erhielt er bisher wenig Rückenwind. Nur ein Alleingang? ND wollte mehr wissen.

nem unvorstellbaren Kapital soll nur sagen: Jawohl es war so, aber wir sind jetzt bereit zu heilen. Und das zu reparieren, was ich in der Sache eigentlich sehe ist, daß man den DDR-Vereinen die Schuldenlast, unter der sie heute leiden, in Form eines zinslosen Kredits über sechs, sieben Jahre abtragen hilft. Die Vereine müssen wieder eine Basis bekommen, um neu anfangen zu können. Das ist es, was ich vom DFB will.

So naiv konnten Sie doch nicht gewesen sein, auf Verständnis fUr den Ostsport zu rechnen, denn der hat seinen Platz am Katzentisch doch schon zugewiesen bekommen?

Das ist nicht ganz richtig. Ich hätte eigentlich schon vor ein, zwei Janren den Sprung auf den Tisch machen müssen und sagen, so nicht meine Herren. Aber nehmen wir einmal an, ein Strafgefangener in einem diktatorischen Land soll vor laufenden Kameras über die unmöglichen Zustände im Knast sprechen. Ich möchte den sehen, der sagt, ich werde ungerecht behandelt, mir geht es schlecht, ich werde geschlagen, Ähnlich war es bei mir und damit mit der Sache Dynamo Dresden.

Solch ein Vorstoß wie der Ihre birgt ja immer die Möglichkeit in sich, entweder Beifall zu ernten oder Isoliert zu werden. Sicher waren Sie nicht auf Letzteres aus?

Ganz bestimmt nicht. Und ich kann auch nur die Sportkollegen und die Fußballvereine auffordern: Hört endlich auf, Angst zu haben, hört endlich auf, euch zu verstecken und stramm zu stehen vor Pappfiguren. Wir haben alle das gleiche Recht. Wir alle sind der Deutsche Fußballbund. Und die Direktoren und hochdekorierten Mitarbeiter sind eigentlich doch nur für uns, für die Vereine da. Nur haben die den Vorteil, daß sie eine geschlossene Einheit sind. Sie geben sehr gut acht, daß in ihr untergetauchtes U-Boot keine Wassermassen von außen eindringen. Da sitzen in dem mächtigen Liga-Ausschuß Leute, die schon lange nichts mehr mit dem aktuellen Fußball zu tun haben. Die meisten, die da drin sind, sind einfach nur Postenjäger.

Den großen Beifall gab es für Ihre Aktion nicht. Den ernten Sie vielleicht von den Fans?

Also, was mich wirklich so stark macht, das ist eigentlich

die Resonanz, die Dynamo Dresden in ganz Deutschland bis in die hinterste Ecke des Bayerischen Waldes genießt. Das macht Mut. Ich spüre die Anerkennung von vielen Menschen in den neuen Bundesländern.

Sie müssen doch auch überrascht gewessen sein, daß der NOFV in Konterstellung zu Ihnen ging?

Da fehlen mir alle Worte. Ich kann nur sagen: Steigbügelhalter, Mamelucken. Ich bin stocksauer. Den jetzigen NOFV-Präsident, den kenne ich nur so von „Hallo“ und „Guten Tag“ Wo war er eigentlich gewesen, als Dynamo vier Punkte abgezogen bekam, wo war er gewesen, als Dynamo am Rande des Abgrundes stand? Ich frage nochmal: Wo ist er gewesen, als Magdeburg, Halle und anderen Riesen-Fußballvereinen die Luft ausging? Und nun distanziert sich Dr. Moldenhauer von einem Vor-

stoß, der den NOFV-Vereinen Nutzen bringen könnte. Da gab es früher einen Günter Schneider im DDR-Fußballverband. Er soll, so haben mir Insiderleute gesagt, eine Rote Socke von sechs Metern Länge gewesen sein. Aber bei der FIFA

und bei der UEFA, da war der einfach anerkannt. Und weil er den Leuten beim DFB wahrscheinlich sehr unbeqeum war, da hat man lieber einen Ja-Sager genommen. Das ist meine Meinung.

Haben Sie schon mit Otto Höhne gesprochen?

Ich weiß nicht, wer das ist.

Der Präsident des Berliner Fußballverbandes, der sich auch scharf von Ihren DFB-Vorwürfen distanziert hat.

Der sollte mal alle Berliner Fans zusammennehmen und sie fragen, wie sie zum DFB stehen. Hat er Union geholfen? Ich habe nichts gesehen. Für mich ist das alles eine organi-

sierte Gegenkampagne. Denken Sie doch einmal an die Attacken, die Beckenbauer gegen den DFB fuhr. Nur, der hat Gewicht, der ist Weltmeister. Und da kommt kein West-Landesverband auf die Idee, zu sagen, der Beckenbauer ist blöde. Aber hier, hier haut man drauf.

Gab es von den sächsischen Parteien irgendwelche Reaktionen, positiv oder negativ?

Eigentlich nicht. Vielleicht kommen die noch.

Wie ist überhaupt Ihr Verhältnis zur Politik, mischen Sie mit oder halten Sie sich zurück?

In Dresden-Prohlis habe ich für die FDP meine Stadtrat-Kandidatur mit dem besten Ergebnis gewonnen. Also ziehe ich jetzt ins Rathaus.

Ossi-Otto, Wossi-Otto, Wessi-Otto. Was denn nun?

Von allem etwas. Ich tendiere dahin, den Schwachen zu helfen und gegen die Starken anzutreten.

Übersteigt der Gedanke, daß Dresden von einem PDS-Bürgermeister regiert werden könnte, Ihre Phantasie?

Ich glaube es nicht, daß dies sein wird. Was ich aber glaube ist, daß die PDS locker 20 und mehr Prozent macht.

Glauben Sie, daß Sie es auch mit einem anderen Klub als Dresden geschafft hätten, sich im Oberhaus zu behaupten?

Ich stand vor Dresden vor anderen Versuchungen. Der Bürgermeister von Frankfurt/ Oder wollte mich. Aus Halle war eine Offerte da. Ich hätte es auch mit Erfurt probiert. Jetzt ist Dynamo mittlerweile meine Liebe.

Bleibt es eigentlich bei Dynamo?

Alle die, die einmal einen anderen Namen wollten, kann ich überhaupt nicht verstehen. Die Sache ist doch so: Dresden ist bekannt. Dynamo Dresden ist noch bekannter.

Was unterscheidet das Unternehmen Bau vom Unternehmen Fußballklub?

Beides ist oftmals sehr wacklig und die Statik stimmt nicht immer.

Wäre eine in der zweiten Bundesliga spielende Mannschaft für Sie als Unternehmer noch attraktiv?

Kein Thema. Wenn wir abgestiegen wären, hätte ich noch einen Zahn mehr draufgelegt.

Fürchten Sie nicht, daß die Gauck-Behörde noch Akten

über einstige Stasi-Verstrikkungen publik macht? Welchen Stellenwert hat überhaupt für Sie das Thema?

Solange keiner einem anderen geschadet hat, soll der seine Chance haben.

Warum sind Sie eigentlich nicht gut auf die Treuhand zu sprechen?

Treuhand? Ein Abklatsch vom DFB.

Wir haben noch gar nicht von der Mannschaft gesprochen. Wann haben Sie diese das letzte Mal spielen sehen?

Schon lange her, vor drei Wochen etwa. In Radeberg beim IFC-Cup gegen diese ungarische Mannschaft.

Ich behaupte mal, die neue Saison wird schwerer als die letzte war. Was halten Sie dagegen?

Ich denke, daß Ihr Argument zieht. Es wird schwerer für uns, weil wir jetzt noch mehr im Mittelpunkt stehen. Weil wir nämlich, so traurig das ist, die Einzigen aus dem Osten sind.

Marschall, Stevic und Penksa sind weg. Wie sollen die denn verkraftet werden?

Penksa hat uns nie gehört. Wir hätten nie die anderthalb Millionen für ihn zahlen können. Marschall war, so sage ich das, eine Auflage. Die Auflage des DFB hieß, du mußt in drei Wochen 6,25 Millionen realisiert auf den Tisch legen. Hast du die nicht, kriegst du überhaupt keine Lizenz. Was kann man in dieser Situation sonst verkaufen als das Allerbeste, das man hat? Für Marschall habe ich eine Million zu wenig bekommen.

Schlechter Geschäftsmann?

Sie sind gut. Die anderen wußten doch, daß ich verkaufen mußte. Mit dem Zeitzwang haben sie mich ausgenommen. Vor allem die Leute aus dem Liga-Ausschuß kannten unseren Engpaß. Da wären wir dann wieder beim Thema. Ich hätte liebend gern den Marschall behalten.

Gegen Bremen hoffen Sie am Sonnabend im Auftakt-Helmspiel natürlich auf einen Sieg.

Da ich katholisch bin, möchte ich das Gleichnis heranziehen: Der David hat den Goliath auch getroffen. 60, 70 Millionen Kapital rennen gegen unsere sechs, sieben an. Finde ich dennoch irgendwie toll. Eine Chance besteht immer. Wir haben nicht das Kapital in der Mannschaft, sind auf dem Papier nicht so gut. Wir haben aber eine ganz andere Einstellung. Uns zeichnet Teamgeist und Kampfkraft aus. Die Bayern-Amateure haben damit ja auch gewonnen.

War es schwer, Siegfried Held zu halten?

Das erste Gespräch hat 15 Minuten gedauert, das zweite etwa ebenso lange.

Herr Otto, sagen Sie bitte, was war für Sie der größte Triumph nach zwei Jahren Dresden?

Ganz klar, daß wir trotz vier Strafpunkten noch manch einen hinter uns gelassen haben.

Würden sie auch Ihre größte Niederlage benennen?

So richtige Niederlagen hatte ich hier in Dresden noch nie. Aber es könnten welche kom-

men, wenn eigene Leute hinter meinem Rücken anfangen zu sticheln.

Eigene Leute, auch im Klub?

Vielleicht drei Prozent. Das ist ganz normal. Ich glaube jedenfalls, ehemalige Gegner überzeugt zu haben, es ehrlich zu meinen.

Das einstmals zugespitzte Verhälnis zu Klaus Sammer?

Ist ein sehr gutes geworden. Wir haben uns abgetastet und respektieren uns, und ich habe sogar das Gefühl, daß wir uns mit Sympathie begegnen.

Klaus Sammer und die Jugendarbeit, das funktioniert?

Ich habe eigentlich drei Bollwerke. Kreische, Sammer, Heidler, alles ehemalige DDR-Größen im Fußball. Erst gestern saßen wir wieder beisammen. Was die Jugendarbeit betrifft, sind wir ein Vorzeigemodell. Wobei es auch so ist, daß Klaus Sammer als Stadtrat gewählt wurde für die Freien Bürger. Und da können wir vielleicht beide was im Parlament bewegen.

Worum ging es denn in der Runde?

Ja, das paßt gut. Also, da haben wir einen sehr veranlagten jungen Fußballer. Fröhlich heißt der wohl. Und da sagt, ich glaube, es war der Heidler, Herr Otto, sie müssen was springen lassen, sonst ist der weg. Wieso das, frage ich zurück. Nun kommt die Story, die typisch ist für den Osten. Ein Westklub sei dran. Lehre und Wohnung alles gleich mit. Vor allem auch eine Stelle für seinen arbeitslosen Vater. So wurde es gemacht, und so wird's immer noch gemacht. Also, ich denke, die Sache in den Dynamo-Griff zu bekommen,

Die Reisen sind lang in der Bundesliga.

Ich erlaube mir jetzt den Luxus, obwohl wir daran sehr knabbern, nicht mehr 1 000 Kilometer mit dem Bus zu reisen, sondern mit Charter-Flugzeug. Wir erlauben uns auch, die ganze Mannschaft mit Boss-Anzügen auszustatten. Warum sollen wir denn anders sein als die Bayern, als Frankfurt, Dortmund, Hamburg oder sonstwer.

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