Von GABRIELE OERTEL
Die Anmeldung der Gesamtvollstreckung traf die noch 65 000 Mitglieder des Ingenieurtechnischen Verbandes KDT vor wenigen Wochen zumeist unerwartet. Für Eingeweihte kam das indes nicht aus heiterem Himmel. Gar manch einer hatte sich gewundert, wie der fast 50jährige Verband mit dem Eintritt in die Marktwirtschaft plötzlich finanziell aus dem Vollen schöpfte. Auch über fehlende neue inhaltliche Konzepte gab es immer wieder lautes Nachdenken. Am 24. Juni kam mit der Anhäufung eines Millionen-Schuldenberges das Aus für die einstige Kammer, in der einmal fast 300 000 ostdeutsche Ingenieure, Techniker und Wissenschaftler Erfahrungen austauschten und sich weiterbildeten. Zu vermuten ist, daß das KDT-Desaster den um Mitglieder werbenden West-Ingenierorganisationen nicht sonderlich ungelegen kam.
Westen. „Unsere Mitglieder haben auch nicht vergessen, daß ein früherer VDI-Präsident von den roten Socken redete, sich zu der Feststellung verstieg, in der DDR sei man zum Ingenieurtitel beinahe wie zu einem Lotteriegewinn gekommen, und die Kammer sei ein besserer Schlosserklub gewesen“, sagt er verbittert.
Man konnte wohl gerade wegen dieser Vorbehalte von Anfang an nicht sonderlich miteinander, auch wenn es gleich nach der Wende ernsthafte Versuche zu einer gemeinsamen Ingenieurorganisation gegeben hatte. Doch schon beim ersten Zusammentreffen im KDT-Haus gleich neben dem Reichstag hatte der VDI deutlich gemacht, nicht zu Besuch, sondern im eigenen Haus angekommen zu sein. Dann gab's den schon erwähnten Versuch, zahlende Mitglieder abzuwerben - mancher der zu Tausenden abgewickelten ostdeut-
schen Ingenieure und Techniker hat wohl auch gehofft, durch die Mitgliedschaft in einem Westverein einen Job abzubekommen. In Berlin jedenfalls kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, daß am 27 Juni an Rhein und Main die Sektkorken knallten, als der „Schlosserverein“ im Osten, dem immerhin noch 65 000 die Treue hielten, endlich zu verschwinden schien.
Schon acht Tage nach dem schwarzen Freitag flatterten jedenfalls Briefe an das Präsidium und die Vorstände der regionalen und fachlichen Gliederung der KDT gen Osten mit dem Angebot, deren Mitglieder in den VDI zu Vorzugsbedingungen aufzunehmen. Konkret: Bis zum 31. Dezember dieses Jahres können alle bisherigen KDT-Mitglieder ohne Entrichtung eines Eintrittsgeldes und ohne Beitragsverpflichtung für 1994 Mitglied beim VDI werden.
Daß dieses honorige Angebot viele einstige KDT-Mitglieder dennoch nicht annehmen wollen - im Verein für Ingenieure und Wirtschaftler in Mecklenburg-Vorpommern haben sich inzwischen 1 200 Ingenieure und Techniker mit Ermutigung der Landesregierung neu organisiert - macht den Untergang der KDT nicht begreiflicher Trotz aller äußeren Bedingungen ist der nämlich fast vollständig hausgemacht. „Wir haben 25 Millionen DM nach der Währungsunion gehabt und mit 18 Millionen Schulden die Gesamtvollstreckung beantragt. Das sind 43 verschwundene Millionen. Unfaßbar“, sagt Hans Rolf Besser. Großkotzigkeit habe es gegeben - bei Gebäudesanierungen, Anschaffung moderner Rechentechnik und Dienstwagen sowie Gehältern von Führungspersonal - aber auch Unregelmäßigkeiten. So sollen im Lastschriftverfahren
von fremden Firmen Geldbeträge eingezogen worden sein, hinter denen sich keinerlei KDT-Leistungen verbargen. Beschwerten sich einige der um insgesamt mehrere Millionen geprellten 50 Firmen, überwies die Finanzchefin artig zurück - vermutlich Geld anderer Opfer
Wenn auch der Hauptteil des Schuldenberges vor 1992 angehäuft wurde, bevor Professor Budig, Elektrotechniker aus Chemnitz, das Zepter übernahm - frei von Schuld sei Budig keinesfalls, meint Hans Rolf Besser. Schließlich hat der Professor das Präsidium ohne entsprechende Bilanz übernommen. Und als Betriebsratsmitglied Joachim Rechenberg ihn informierte, daß die meisten KDT-Beschäftigten seit Februar '94 kein Gehalt mehr erhalten, meinte Budig, dies gehe ihn nichts an und sei Sache der Hauptgeschäftsführung.
„Das Management- und Personalkonzept ist unter jeder Kanone gewesen“, sagt Rudi Höntzsch. „Wir hätten schon vor zwei Jahren einen entsprechenden Schnitt machen müssen.“ Der Abbau des Personals sei viel zu langsam angegangen worden, und damit waren die Lohnkosten zu hoch. Man habe seit Jahren über die Verhältnisse gelebt. Einen Sozialplan aber habe es auch
nicht gegeben , erklärt Rechenberg. Ein entsprechender Vorschlag des Betriebsrates wurde von der Geschäftsführung nicht akzeptiert.
„Die Pleitemedaille hat zwei Seiten, die finanzielle und die fachlich-inhaltliche“, versucht Besser eine Erklärung für das Mißmanagement der KDT -„ohne entsprechenden finanziellen Spielraum keine ordentliche fachliche Arbeit aber ohne inhaltliche Konzepte lockst Du keinen Hund hinterm Ofen vor und kannst somit auch nichts verdienen“ Die KDT hatte sich sofort nach der Wende auf den Weiterbildungsmarkt geworfen - doch der wurde mehr und mehr hart umkämpft. Die teuer eingerichteten Rechnerkabinette brachten nicht, was man sich von ihnen versprach. Andere Nischen wie Existenzgründerseminare und Managerkurse wurden versucht - das nötige Geld brachten sie nicht. Mehr und mehr wurden die Mitgliedsbeiträge zur finanziellen Hauptquelle der KDT Doch die Mitgliederzahlen sanken.
Auf der Strecke blieben die zuletzt 160 Mitarbeiter der / KDT - und vor allem das Vertrauen der Mitglieder Das wollen die Fach- wie Regionalverbände jetzt wiedergewinnen. Und vielleicht Anfang des kommenden Jahres einen Verband gründen, der bundesweit agieren soll - um Ingenieuren, Technikern wie Wirtschaftlern beim Zusammenspiel von Ökologie, Ökonomie und Technik ein Forum zu bieten.
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