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Gibraltar: 25 000 Einwohner, 53 000 Unternehmen

Im Paradies für Schmuggel und Geldwäscherei liefern sich kleine und große Gauner ein Stelldichein

  • Lesedauer: 3 Min.

Von REINER WANDLER, Madrid

Wovon lebt die letzte englische Kronkolonie, das an der Südspitze der iberischen Halbinsel gelegene Gibraltar? Auf der Höhe der 500 Meter hohen Klippe, die die 580 Hektar britischen Staatsgebietes an der Mittelmeerküste überragt, weht seit 281 Jahren der Union Jack. Ein idyllisches Bild, das trügt. Geht die Sonne unter, wiederholt sich jede Nacht das gleiche Spiel. Mit einem Riesenaufgebot an Beamten, Fahrzeugen, Schnellbooten und Hubschraubern bezieht die spanische Guardia Civil Wachposten an der Grenze. Denn Gibraltar ist ein Schmugglerparadies.

Über 50 Schnellboote liegen im Hafen von Gibraltar. Ihr Ge-

schäft: der Tabakschmuggel Richtung Spanien. Mit 1 000 Stangen amerikanischer Zigaretten an Bord geht die Reise mit Spitzengeschwindigkeiten bis zu 150 km/h in das benachbarte spanische Dorf La Atunara. 12 000 Mark bringt eine Fuhre den meist jugendlichen Schmugglern ein. Am Strand werden sie bereits erwartet. In Windeseile entlädt man das Boot, um ebenso schnell zu verschwinden, wie man aus dem Dunkel der Nacht aufgetaucht ist. Hier wird nicht ganz so gut verdient. Pro in Sicherheit gebrachten Karton mit 50 Stangen bleiben umgerechnet 35 DM hängen.

Die Guardia Civil beschränkt sich meist auf das Filmen aus der Luft. Beschließt man einzugreifen, wird man von einer Menschenmenge mit Steine-

hagel und Leuchtspurmunition empfangen. Das Frühwarnsystem in der armen Region, in der die meisten Familien zu illegalen Einnahmen gezwungen sind, funktioniert gut. Auf Dünen und Bergen hat man Wachen postiert. Einzige Möglichkeit, die Schmuggler von der anderen Seite der Grenze zu stellen, ist die Verfolgungsjagd auf offenem Meer. Zwölf Tote hat das gefährliche Unterfangen bisher gefordert.

Die Regierung von Gibraltar unter Premierminister Joe Bossano versucht, die illegalen Geschäfte herunterzuspielen. Doch die Zahlen sprechen für sich. Allein im ersten Halbjahr 1994 importierte Gibraltar 31,6 Millionen Päckchen Zigaretten, das sind 140 Zigaretten pro Tag und Einwohner vom Säugling bis zum Greis. In der

spanischen Nachbarprovinz Cadiz beschlagnahmte die Polizei vergangenes Jahr drei Millionen Päckchen und eröffnete mehr als 1 000 Ermittlungsverfahren in diesem Zusammenhang. 17 Prozent der in Spanien verkauften ausländischen Zigaretten sind Schmuggelware. Immer häufiger beschlagnahmt die Küstenwache auch andere Ware. Auf der Tabakroute finden auch Haschisch und Heroin den Weg ins Land.

Die spanische Regierung wirft den Briten ein weiteres dunkles Geschäft vor - die Geldwäscherei. 28 Banken aus aller Herren Ländern zieren die Main Street. 53 000 Unternehmen sind im Handelsregister eingeschrieben. Bei einer Bevölkerung von 25 000 Einwohnern eine stolze Zahl. Ak-

tivitäten und Besitzer der Gesellschaften unterliegen strenger Geheimhaltung. 75 Agenturen repräsentieren die inund ausländischen Unternehmen.

In Spanien sind 150 Verfahren wegen Geldwäscherei anhängig. Die spanische Regierung hat jetzt erfolgreich auf die Einsetzung einer Kommission gedrängt, um die Probleme mit dem kleinen Nachbarn in den Griff zu bekommen. An der Arbeitsgruppe wird neben London und Madrid auch die Regierung von Gibraltar beteiligt sein. Letztere hatte das bisher verweigert, da Spanien immer wieder öffentlich die Kolonie zurückfordert. Wenn es nach der Bevölkerung Gibraltars geht, wird es dazu nie kommen, 98,5 Prozent lehnen einen Hoheitswechsel ab.

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